Im Finale hätte sie diese Schallmauer eventuell unterboten, doch drei Fehlstarts bildeten keine optimalen Ausgangsbedingungen. „Beim ersten Versuch war die Zeitmessung ausgefallen. Man hat uns sehr spät zurückgeschossen. Da hatte ich einen Start erwischt wie noch nie. Damit wäre ich unter elf Sekunden geblieben,“ vermutet Annegret Richter.
Nach ihrem 100-Meter-Triumph war sich die Dortmunderin im ersten Augenblick ihrer Sache nicht hundertprozentig sicher. Daher schaute sie zur großen Leinwand, die es in Montreal zum ersten Mal gab. Sie kann sich heute noch genau an den Moment ihres größten sportlichen Glücks erinnern: „Als ich dort sah, dass ich vorn lag, ist eine große Last von mir abgefallen. Ich war so erleichtert“. Der Olympiasieg bedeutet ihr unwahrscheinlich viel: „Die Goldmedaille kann mir keiner nehmen. Die habe ich für immer. Bei meinem wichtigsten Wettkampf auf den Punkt genau fit gewesen zu sein, ist mir wichtiger als ein Weltrekord, denn der ist vergänglich“.
Familie hat höheren Stellenwert als der Sport
Annegret Richters Leben wird in der Öffentlichkeit meist reduziert auf ihre sportlichen Erfolge, doch die sind für die frühere schnellste Frau der Welt nicht das Wesentliche. Einen deutlich höheren Stellenwert hat für sie ihre Familie. So ist sie mit ihrem Ehemann Manfred, mit dem sie seit 1971 verheiratet ist, stolz auf ihre Tochter Daniela (34), die vor drei Jahren in Heidelberg ihre Promotionsprüfung mit der Note „magna cum laude" (sehr gut) bestanden hat. Die junge Forscherin, die in den 90er-Jahren zu den besten Nachwuchssprinterinnen in Deutschland zählte, ist in Heidelberg am Nationalen Forschungszentrum für Tumorerkrankungen (NCT) beschäftigt.
Sehr viel Freude bereitet dem Ehepaar Richter auch Sohn Marcus (32), der vor neun Jahren einen schweren Motorradunfall überlebte, anschließend eine Ausbildung zu Physiotherapeuten abschloss und nun Medizin studiert.
Fast ein Vierteljahrhundert hat Annegret Richter als Verkaufsrepräsentantin für die Firma Adidas gearbeitet. Seit sechs Jahren befindet sie sich im Ruhestand, doch Langeweile kommt bei ihr nicht auf.
Seit dem 4. Juni 2016 ist Annegret Richter Ehrenmitglied des FLVW
Seit zwei Jahren engagiert sich die frühere Top-Sprinterin für den Fußball- und Leichtathletik-Verband Westfalen (FLVW) als Botschafterin. In dieser Funktion übernimmt sie bei Meisterschaften oftmals die Siegerehrungen und plaudert bei verschiedenen Verbandsveranstaltungen und Talkrunden aus ihrem erfolgreichen Sportlerleben. „Mir bereitet diese Tätigkeit sehr viel Freude, weil der Bedarf recht hoch ist und viele mich noch kennen,“ unterstreicht die frühere Weltklasse-Sprinterin. Auf dem Verbandstag des FLVW am 4. Juni 2016 in Gütersloh wurde sie zum Ehrenmitglied des Verbandes ernannt.
Annegret Richter, die regelmäßig ein Fitnessstudio besucht, engagiert neben ihrer Botschafter-Tätigkeit noch als Schöffin und lernt bei dieser interessanten Aufgabe alle Facetten des Lebens kennen.
Die Dortmunderin zählt mit jeweils zwei Gold- und Silbermedaillen zu den erfolgreichsten Olympia-Teilnehmerinnen des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV).
Zweites Olympia-Gold 1972 mit der 4x100m-Staffel
Ihr zweites Olympiagold errang Annegret Richter bei den Olympischen Spielen 1972 in der 4x100m-Staffel. Neben zahlreichen Medaillen und Trophäen hat die 31-fache deutsche Meisterin während ihrer glanzvollen Karriere zahlreiche Freunde gewonnen. So gehören zu ihrem engsten Bekanntenkreis unter anderem 800m-Olympiasiegerin Hildegard Falk und die dreifache Olympiasiegerin Renate Stecher. Darüber ist sie ebenfalls sehr glücklich.