Neue Spielformen im Kinderfußball: Überzeugen statt überstürzen

Kleinere Mannschaftsgrößen, kleinere Spielfelder, größere Vorteile – zum Wohle aller fußballspielenden Kinder. Das sind die Grundpfeiler neuer Wettbewerbsformen im Kinderfußball, die der Deutsche Fußball-Bund (DFB) mit seinen Landesverbänden aktuell testet. Am Freitagabend stellte mit Markus Hirte der Leiter der DFB-Talentförderung den westfälischen Jugendobleuten im SportCentrum Kaiserau aus erster Hand die Ideen der neuen Spielformen vor.

Es war in der ersten Jahreshälfte eines der meistdiskutierten Themen im Jugendfußball: Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) – so titelten einige Medien – würde den Kinderfußball „radikal revolutionieren“ wollen. Die teils durch falsch vermittelte Informationen verursachte Unsicherheit an der Fußballbasis folgte schnell die Aufklärung und Beruhigung: Keine Pflicht, keine Umsetzung zur Saison 2019/20, keine Anschaffung von zusätzlichem Material wie Mini-Tore. Was geblieben ist, sind trotzdem viele Fragezeichen bei den Verantwortlichen.

Markus Hirte konnte am Freitagabend im SportCentrum Kaiserau die allermeisten dieser Fragezeichen ausräumen. Bei der Zusammenkunft der Vorsitzenden der Kreis-Jugend-Ausschüsse (KJA) aus dem Fußball- und Leichtathletik-Verband Westfalen (FLVW) mit dem Verbands-Jugend-Ausschuss (VJA) – dem sogenannten Jugendbeirat – stellte der Leiter der DFB-Talentförderung in einem anschaulichen Vortrag die Leitgedanken und Grundideen der Spielform vor, die auch unter dem Schlagwort „Funino“ bekannt ist.

"Schnelle Erfolgserlebnisse schaffen"

„Die Wettbewerbsform muss sich den Kindern anpassen, nicht die Kinder dem Wettbewerb“, richtete Hirte gleich zu Beginn den Fokus auf das Wichtigste: die fußballspielenden Kinder. Untermauert mit kognitions- und entwicklungspsychologischen Erkenntnissen machte der 56-Jährige auch anhand zahlreicher Videobeispiele deutlich, dass der aktuelle Modus im „Sieben gegen Sieben“ auf einem Halbfeld den Bedürfnissen der jüngsten Kicker wenig entspricht: „Wir müssen Kinder ins Zentrum unserer Überlegungen rücken“, sagte Hirte, der die Ziele bei den Überlegungen der neuen Spielformen klar benennt: Altersgemäße Anforderungen, Raum zur Erfahrungssammlung, Bewegungs- und Entfaltungsmöglichkeiten sowie Erfolgserlebnisse.

Immer wieder passiere es, dass im regulären Spielbetrieb hohe Ergebnisse zu Stande kommen. „Statt tagelang über eine 0:10-Niederlage zu diskutieren, wollen wir schnell Erfolgserlebnisse schaffen“, so Hirte. Möglich sei dies beispielsweise bei kürzeren Spielen in Turnierform, bei denen auf auf- und absteigenden Spielfeldern – je nach vorigem Ergebnis – in kleinen Mannschaftsgruppen gespielt wird.

Längere und ausreichende Einsatzzeiten für alle Kinder, mehr Ballaktionen, Dribblings, Torschüsse und Tore sind die positiven Folgen, die der DFB auch unter anderem von der Deutschen Sporthochschule Köln und der Universität Rostock wissenschaftlich ermitteln ließ. „Durch eine Mehrzahl an Erfolgserlebnissen haben wir die riesen Chance, Kinder länger in den Vereinen zu halten“, sprach der Talentförderungs-Leiter das auch das große Problem der „Drop-Out-Quote“ im Jugendfußball an.

"Klinken putzen" aus Überzeugung

Aktuell befindet sich der DFB mit der Umsetzung noch relativ am Anfang, wie Markus Hirte an einem Zeitstrahl deutlich machte. Die neue Spielform ist in der Jugendordnung als Empfehlung aufgenommen worden, womit Verbände, Kreise und Vereine bereits jetzt die Möglichkeit haben, die alternative Wettkampfform beispielsweise in Turnieren oder Spielfesten zu organisieren. Bislang wurde das auch im Verbandsgebiet des FLVW schon genutzt. Keine Frage: Markus Hirte putzt aktuell noch Klinken. Mit steigendem Erfolg und mit glaubhafter Absicht. „Lieber gut vorbereitet und aus Überzeugung als vorschnell ‚par ordre du mufti‘, also von oben herab“, möchte Hirte Überzeugungsarbeit leisten und Vereine ermutigen, selbst Erfahrungen zu sammeln.

Steffen Winter und Carsten Busch pflichteten dem DFB-Referenten bei. „Wir müssen die Kinder im Blick haben. Unser oberstes Ziel ist es, dass alle spielen und sich bewegen“, stellten die westfälischen Verbandsfußballlehrer die Arbeit der FLVW-AG Kinderfußball vor, die von der Universität Bielefeld wissenschaftlich begleitet wird.

Die Trainerqualität stellt bereits aktuell eine enorme Herausforderung dar. Mit den neuen Spielformen verändert sich auch die Rolle des Trainers. Er wird verstärkt Spielorganisator bzw. -begleiter. Spezielle Anforderungen für inhaltliches Training und Coaching sinken hingegen. Wichtig ist ein gutes Grundverständnis für Kinder. Entsprechende Qualifizierungsangebote sind bereits in Vorbereitung.

In der anschließend offen geführten Diskussionsrunde berichteten die Kreisvertreter von ihren Erfahrungen, aber auch von Bedenken seitens ihrer Vereine. Thomas Harder, der vom VJA die AG Kinderfußball begleitet, bedankte sich anschließend für den konstruktiven Austausch und ermutigte Kreise und Vereine, eigene Erfahrungen zu machen. „Wir versichern euch, dass wir den Vereinen nichts überstülpen werden und wir keinen Zeitdruck bei der Umsetzung haben“, so Harder, der auch weiterhin die Basis – zum Wohle der Kinder – bei den Überlegungen zu den neuen Spielformen mit ins Boot holen möchte.

Weitere Informationen, Video und Booklet-Download auf FLVW.de

Ausführliche Antworten auf die wichtigsten Fragen (FAQ) rund zu neuen Wettbewerbsformen sowie ein Info-Video finden Sie auf der FLVW.de-Themenseite "Neue Spielformen im Kinderfußball"