"Es bringt nichts, traurig zu sein", hatte sich Amanal Petros (TV Wattenscheid 01) vor dem Marathon in Valencia gesagt. Und versucht, die Sorgen um Familie und Freunde in Äthiopien auszublenden. Dann rannte er los. So schnell, dass Trainer Tono Kirschbaum zuhause "kurz vor dem Herzstillstand war". Die Durchgangszeit beim Halbmarathon: 1:03:09 Stunden, gleichbedeutend mit einem Kurs auf eine Endzeit in Richtung 2:06 Stunden. Zu diesem Zeitpunkt lag die Bestzeit des Wattenscheiders noch bei 2:10:29 Stunden. Und der deutsche Rekord von Arne Gabius (TherapieReha Bottwartal) bei 2:08:33 Stunden.
"Ich bin in der falschen Gruppe mitgegangen", erklärt Amanal Petros am Tag nach seinem furiosen Auftritt von Valencia sein schnelles Anfangstempo. Erst bei Kilometer sechs habe er erfahren, wie schnell diese Gruppe unterwegs ist. Und sich gewundert, dass es ihm bei diesem Tempo so gut geht. "Kurz war ich verunsichert. Und habe nach hinten geschaut. Aber da war niemand." So rannte er kurzerhand weiter in dieser Gruppe mit, die ihn schließlich in seinem zweiten Marathon überhaupt bis zum deutschen Rekord führen sollte: In 2:07:18 Stunden blieb der 25-Jährige deutlich unter der Bestmarke von Arne Gabius.
"Jeden Kilometer an meine Familie gedacht"
Etwas mehr als 24 Stunden liegt der Zieleinlauf nun zurück – 24 Stunden, in denen Amanal Petros viel Anerkennung für das Durchhalten in schwierigen Zeiten erfahren konnte. "Das war schön. Kaum zu glauben. Ich glaube es eigentlich immer noch nicht", sagt er, und: "Ich bin glücklich, dass ich mein Ziel erreicht habe und dass sich die ganze Arbeit gelohnt hat."
Glücklich – das war Amanal Petros in den vergangenen Wochen nicht besonders. Die Gründe dafür hatte er wenige Tage vor dem Marathon auf Instagram öffentlich gemacht: "Ich kann meine Familie seit vier Wochen nicht erreichen", schrieb er da und berichtete von "einem offiziellen Krieg" der äthiopischen Regierung gegen die Region Tigray, in der seine Familie lebt, seit sie vor mehr als 20 Jahren aus Eritrea geflüchtet war.
Am Sonntag gelang es Petros, die Sorgen in Stärke umzumünzen. "Ich habe jeden Kilometer an meine Familie gedacht", berichtet der 25-Jährige, der im Alter von 16 Jahren alleine als Flüchtling nach Deutschland gekommen war und in Bielefeld ein neues Zuhause gefunden hat. "Das hat mir Mut gegegeben."
Aus Motivationsloch herausgearbeitet
Dass der deutsche Rekord zum Jahresende ihm gehören würde, hätte Amanal Petros sicher vor einigen Monaten noch nicht zu träumen gewagt. Denn da war die Motivation im Keller, der Frust nach den verschobenen Olympischen Spielen sowie der Absage des 10.000 Meter-Euroapcups und der EM in Paris (Frankreich) groß: „Ich habe dann erstmal eine Pause eingelegt, es ging einfach nichts mehr", blickt Petros zurück. Ein wenig Joggen, Kraftübungen in der Wohnung – viel mehr gab der Kopf nicht her.