Als die 26-Jährige, vielen noch unter ihrem Mädchennamen Steinlage bekannt, den Operationssaal im Wiedenbrücker St. Vinzenz-Krankenhaus verließ, wo ihr ein Stück Sehne als Bandersatz ins rechte Knie eingesetzt worden war, dachte sie nur kurzzeitig ans Aufhören. „Kannst du dich nochmal so richtig motivieren?", habe sie sich gefragt. „Der Gedanke ist ganz schnell wieder verflogen, so wollte ich meine Karriere nicht beenden", wurde der Rietbergerin aber rasch klar. Noch auf Krücken ging sie im Winter wieder zum Hallentraining des TuS Viktoria, um ihren Coach Ferdi Schumacher zu unterstützen. Das Treffen mit den anderen Athleten und der „Geruch" von Leichtathletik festigten ihren Entschluss, weiterzumachen. „Ich habe Bock darauf", stellte sie fest, „vielleicht sogar mehr als vorher."
"Negative Erfahrung, aus der ich versuche, das Positive herauszuholen"
In Absprache mit den Ärzten und Therapeuten absolvierte sie fortan täglich Übungen für das operierte Knie und den restlichen Körper, vielfach auch mit Trainingsgeräten daheim. Anfang April fing die Mehrkampfspezialistin wieder vorsichtig an zu laufen. „100 Meter, 200 Meter, 500 Meter, 1.000 Meter", beschreibt sie ihre kleinen Schritte zurück auf die Bahn. Inzwischen läuft sie sogar acht Kilometer am Stück, was sie vor der Verletzung nie getan hatte. „Die Kondition ist jetzt tippi-toppi", lacht Lisa Schlüter.
Im Mai, rund sechs Monate nach der Operation, kehrte sie ins regelmäßige Vereinstraining zurück – unter den eingeschränkten Corona-Bedingungen versteht sich. Neben koordinativen Vorübungen zu Hürdenlauf, Hochsprung, Speerwurf und Kugelstoß konnte sie Anfang Juni mit temporeicheren Läufen auf der Kunststoffbahn am Torfweg beginnen. Ärztlicherseits bestehen keinerlei Bedenken, auch Schmerzen verspürt sie so gut wie keine mehr. Dennoch geht natürlich noch nicht alles: „Ein ausgreifender Schritt ist noch nicht so wie früher möglich." Als Lisa Schlüter ihren ersten leicht flotten „Vierhunderter" absolvierte, in 81 Sekunden, lief sie sich einen ordentlichen Muskelkater in die Beine. „Ich bin um jeden kleinen guten Schmerz froh", betrachtete sie das als Zwischenstation auf dem Weg zu alter Fitness. Zur Zeit steht sie dreimal pro Woche auf dem Platz; an den anderen Tagen steht Lauf- und Kräftigungstraining auf dem Programm. Bis zum Jahresende bleibt sie in physiotherapeutischer Begleitbehandlung. „Die Zeit ist schnell vergangen", blickt sie ohne Groll auf die vergangenen Monate zurück: „Es war eine negative Erfahrung, aus der ich versuche, das Positive herauszuholen."
Ohne den Kreuzbandriss wäre Lisa Schlüter momentan in einem besonderen Vorstartmodus: Trotz schwieriger Rahmenbedingungen will der Leichtathletikverband Anfang August in Braunschweig die Deutschen Meisterschaften durchführen, als Hürdenspezialistin regelmäßig ein Highlight für sie. Und auch die Mehrkampf-DM soll wie geplant Ende August in Vaterstetten stattfinden. Natürlich sind das nun aber keine Ziele für die Athletin der LG Kreis Gütersloh. „Vielleicht sind im Herbst kleinere Wettkämpfe im Kugelstoßen oder Speerwurf möglich, vielleicht auch mal ein reines 800-Meter-Rennen", überlegt sie. Während sie die Technik der anderen Disziplinen nicht verlernt hat, muss sie im Weitsprung umdenken. Vor Jahren hatte sie vom linken auf das rechte Absprungbein umgelernt, jetzt wird sie das zunächst wieder rückgängig machen, um die Belastung für das operierte Knie zu reduzieren.
"Ich würde gerne an meine alte Punktzahl anknüpfen"
Was sind die Ziele für ihr Comeback? „Ich will auf jeden Fall noch mal einen Siebenkampf bestreiten", sagt die Rietbergerin. Ihr Kreisrekord aus dem Jahr 2018 steht bei 5.527 Punkten. „Daran möchte ich anknüpfen", sagt sie und hat noch ein besonderes Ziel ins Auge gefasst: „Ich würde gerne noch einmal beim Thorpe-Cup dabei sein." 2017 (Düsseldorf) und 2018 (Knoxville, Tennessee) war sie für das deutsche Nationalteam nominiert worden, das alljährlich zum Länderkampf gegen die USA antritt.
Die Bankkauffrau, die neben ihrem Vollzeit-Beruf auch noch ein Studium der Bildungswissenschaft an der Fernuniversität Hagen absolviert, baut sich aber noch ein zweites Standbein in der Leichtathletik auf – sie beginnt noch in diesem Monat mit der Trainerausbildung. Ohne Kreuzbandriss und Corona wäre auch das vielleicht jetzt noch kein Thema geworden.