Die wichtigste Frage zuerst: Sind Sie gesund?
Maurice Huke: Ich bin momentan gesund, ja.
Wie haben Sie die vergangenen Wochen erlebt?
Huke: Wir müssen uns motivieren, auch wenn man nicht in die Halle oder ins Stadion kann, trotzdem das Training weiter durchzuziehen. Es ist ein ziemlicher Motivationskampf und das Schlimmste daran ist, nicht zu wissen, wie es weitergeht. Sowohl was das Training angeht als auch die Saison.
Ist es denn weiterhin gewährleistet, dass Sie ohne Probleme in Top-Form bleiben können?
Huke: Wir versuchen uns natürlich trotzdem auf alle Eventualitäten vorzubereiten. Ich fühle mich aber gerade sehr gut.
Was für Ziele hat man denn in so einer ungewöhnlichen Saison noch?
Huke: Also momentan geht es tatsächlich einfach darum, fit zu bleiben. Man muss gewisse Reize setzen, man muss trotzdem irgendwie eine Basis schaffen oder halten für die nächste Saison, die dann hoffentlich wieder normal verlaufen wird. Aber alles, was an Wettkämpfen in diesem Jahr noch versucht wird umzusetzen, werde ich natürlich irgendwie noch versuchen wahrzunehmen. Aber nicht mit der Motivation, wie ich sie sonst gehabt hätte. Das Ziel liegt jetzt schon im nächsten Jahr.
Frank Busemann hat kürzlich in einem Interview gesagt, dass er im nächsten Jahr eine Leistungsexplosion erwartet, weil die Athletinnen und Athleten jetzt wirklich mal lange Zeit haben, sich vorzubereiten und eben nicht im Training von Wettkämpfen unterbrochen werden. Sehen Sie das ähnlich oder brauchen Sie den Wettkampf zwischendurch?
Huke: Vielleicht ist das auch ein bisschen von der jeweiligen Disziplin abhängig. Gerade im Sprint würde ich behaupten, dass man einfach diese Reize braucht, die man eben nur im Wettkampf bekommt. Und diese 100 Prozent, die ich erreichen möchte, erreiche ich eben nur im Wettkampf. Ich kann jetzt nicht wirklich sagen, wie es sich dabei mit den biologischen Auswirkungen verhält. Aber ich glaube schon, dass es sinnvoll ist, Wettkämpfe zu machen.
"Olympia ist immer noch mein Traum"
Der bedeutendste Wettkampf sind immer noch die Olympischen Spiele. Auch die fallen in diesem Jahr aus. Ihr Vater Michael hat an den Spielen teilgenommen. Ist das auch immer noch ein Traum von Ihnen?
Huke: Ja, auf jeden Fall. Eine Olympia-Teilnahme steht auf jeden Fall ganz oben. Es ist ziemlich schwer, auch, wenn man sich die Normen ansieht. Da gab es schon mal leichtere. Aber natürlich ist die Staffel da auch immer noch eine Option, irgendwie dort hinzukommen. Man hat jetzt quasi ein Jahr, um vielleicht doch nochmal besser zu werden. Man muss auch schauen, dass in der Zwischenzeit alles fair verläuft. Wenn es doch die Möglichkeiten gibt, zwischendurch Wettkämpfe durchzuführen, aber eigentlich nur Kader-Athleten richtig trainieren können, ist das irgendwie auch schwierig. Aber ich denke, dass der DLV da vernünftige Lösungen finden wird.
Auch wenn Sie noch nicht bei den Olympischen Spielen waren, internationale Erfolge konnten Sie mit der Staffel schon feiern. Solche Erfolge als deutscher Einzelsprinter zu erreichen, ist unglaublich schwierig. Ist das manchmal auch ein ernüchterndes Gefühl, zu wissen, dass man eigentlich keine Chance hat, im Sprint mal die Nummer eins zu werden?
Huke: Man steckt sich andere Ziele. Man geht ja mit diesem Wissen auch rein in die Disziplin. Vielleicht hat man da in jüngeren Jahren noch höhere Ziele und wird dann irgendwann ein bisschen realistischer, was das angeht. Aber ich mache diesen Sport schon länger mit dem Bewusstsein, dass ich vielleicht nicht der nächste Usain Bolt werden kann. Woran das liegt, sei mal dahingestellt. Aber prinzipiell sind die Ziele da schon eingeordnet und man geht da mit einem gesunden Bewusstsein ran.
Was ist Ihr größtes persönliches Ziel?
Huke: Auf jeden Fall die Olympia-Teilnahme, obwohl das je nach momentanen Leistungsvermögen auch ein bisschen variiert. Wenn ich gerade einen Peak habe und es richtig gut läuft, schaue ich vielleicht auch ein bisschen auf andere Ziele, als zum Beispiel jetzt, wo man gar nicht so richtig weiß, wo man steht. Also jetzt gerade habe ich nicht dieses eine große Ziel, sondern eher, dass ich gesund bleiben möchte, dass ich mal wieder Wettkämpfe erleben möchte und versuche, das aus mir rauszuholen, was ich kann. Was man dann aber irgendwann erreicht, ist relativ, da sich auch die Normen und Anforderungen stetig ändern. Jetzt gibt es ja zum Beispiel das Rankingsystem. Da hat man vor ein paar Jahren noch gar nicht dran gedacht. Und damit ergeben sich auch wieder andere Ziele und Möglichkeiten.
"Der Startschuss ist eine Befreiung"
Der Sprint gehört immer noch zu den beliebtesten Disziplinen in der Leichtathletik, vor allem bei den Zuschauern. Was macht für Sie eigentlich die Faszination am Sprint aus?
Huke: Leichtathletik und der Sprint haben schon immer mein Leben geprägt. Mein Vater war ja auch Sprinter und ich habe das auf von klein auf mitbekommen und fand es immer cool. Und auch wenn ich heute Wettkämpfe als Zuschauer sehe, geht bei mir immer noch der Puls hoch. Vielleicht auch, weil man weiß, wie man sich im Startblock fühlt.
Wie schwer ist es eigentlich, mehr oder weniger immer nur diese rund 10 Sekunden zu haben, um seine absolute Top-Leistung zeigen zu können?
Huke: Der ganze Leichtathletik-Wettkampf an sich gehört ja auch dazu. Man guckt gar nicht nur auf diesen einen Lauf. Man hat permanent eine Anspannung. Man hofft, gut schlafen zu können, gut essen zu können und dann eben fit zu sein. Klar ist das auch immer eine Tagesform-Abhängigkeit. Aber so ein Wettkampf gestaltet sich schon über den ganzen Tag. Und wenn ich dann im Startblock bin, dann weiß ich, dass ich bis dahin alles gut geschafft habe. Wenn man die Aufregung dann in den Griff bekommt, ist der Startschuss eigentlich das Befreiende von der ganzen Aufregung, die sich bis dahin aufgetürmt hat.
Was war bis jetzt Ihr schönstes Rennen?
Huke: Das war 2017 in Leipzig, als ich Deutscher Vizemeister über 60 Meter geworden bin. Das war eigentlich so das coolste Rennen. Ich mag die 60 Meter wirklich gern. Das ist irgendwie magisch. Das ist so kurz und so schnell, dass alles irgendwie nochmal wichtiger ist. Aber eigentlich bin ich eher ein prädestinierter 200-Meter-Sprinter. Deswegen hat mich das dann umso mehr verblüfft und erfreut, dass es auch mal über 60 Meter geklappt hat, vor allem, weil ich auch nur mit Ach und Krach überhaupt ins Finale gekommen bin. Und was natürlich auch richtig geil war, war der Finallauf in Japan bei den World Relays im vergangenen Jahr. Im Vorlauf war ich sehr aufgeregt und ich war auch ein bisschen eingeschüchtert von der ganzen Show drum herum. Im Finale war ich dann aber wesentlich lockerer. Wir hatten uns mit der Staffel dann schon ganz gut positioniert und wussten, alles was jetzt kommt, ist einfach nur noch on top. Und das haben wir dann ja auch gut umgesetzt (Huke und sein Team holten mit einem deutschen Rekord die Bronzemedaille, Anm. d. Red.). Das hat richtig Spaß gemacht.
Besteht denn ein großer Unterschied zwischen 60- und 100-Meter-Sprints?
Huke: Das eigentlich nicht. Eher im Vergleich zu 200 Metern dann. Nach 200 Metern bin ich einfach auch mausetot (lacht). Da geh ich auch nochmal mit einer anderen Anspannung in den Lauf. Und es ist auch eine persönliche Auslegungssache. Ich sehe mich ja eher als 200-Meter-Sprinter und bin auch dann deshalb aufgeregter, weil es eben meine Disziplin ist. 100 Meter funktionieren bei mir manchmal und manchmal auch nicht. Und mit der Einstellung, was vielleicht auch nicht immer so gut ist, geh ich dann aber auch in ein Rennen.
"Über 200 Merter kann man sich nochmal ransaugen"
Woran liegt das dann, am Start?
Huke: Ja, ich denke auch. Zum einen, weil es eben nicht meine Parade-Disziplin ist, zum anderen, weil man da direkt nebeneinander sitzt im Startblock. Ich glaube, dass mir da schneller Fehler passieren, weil ich auch auf die Läufer neben mir achte. Das ist bei den 200 Metern durch die Kurven-Positionierung ja etwas anderes. Über 200 Meter kann man sich auch eher nochmal an den Vordermann „ransaugen“. Da ist erstmal nicht schlimm, wenn einer vor dir ist. Aber wenn ich über 100 Meter gleich auf bin mit jemandem, verkrampfe ich schneller. Da habe ich mehr mit meinem Kopf zu kämpfen als über die 200 Meter.
Wie sieht Ihr Tagesprogramm für heute noch aus?
Huke: Ich werde jetzt erstmal Mittagessen, dann zum Training fahren. Morgen ist auch nochmal Training und dann erstmal Wochenende. Heute habe ich frei und muss nicht arbeiten. Ich habe immer einmal in der Woche frei und kann den Tag nach dem Training ausrichten und auch mal zweimal trainieren.
Und wissen Sie schon, was du zuerst machen werden, wenn der normale Alltag wieder möglich ist?
Huke: Da habe ich mir noch gar keine Gedanken gemacht, aber wahrscheinlich grillen, mit ganz vielen Leuten (lacht).