Was ist das spannende an der Sportspsychologie?
Lea Notthoff: Es ist ein sehr unterschätztes Feld. Ich denke, dass wir von der Athletik und der Trainingsintensität irgendwann an unsere körperlichen Grenzen kommen. Und in der Sportpsychologie liegt noch ein riesiges Feld, aus dem wir Ressourcen schöpfen und somit an der Leistungsoptimierung arbeiten können.
Also ein Bereich, der noch wichtiger werden wird im Sport?
Notthoff: Ich denke schon. Man hat in den letzten Jahren schon gemerkt, dass sich die Sportpsychologie immer weiterentwickelt hat. Es ist seit der Saison 2018/2019 Pflicht, in den Nachwuchs-Leistungszentren auch einen Sportpsychologen zu haben. Und ich glaube, dass gerade der mentale Bereich hinsichtlich Leistungsoptimierung, sei es gesellschaftlich oder auch von den Trainingsbedingungen, ein immer größerer Faktor wird.
Sie haben in einem Interview mal von der Formel „Leistung gleich Potenzial minus Störvariablen“ gesprochen. Was genau können denn Störvariablen sein?
Notthoff: Das können viele Dinge sein. Manchmal fängt das schon beim Elternhaus aus, egal, ob es jetzt um Ernährung oder auch um Erziehung geht. Es können schulische Dinge sein, es können Krankheiten oder Verletzungen sein. Da gibt es unglaublich viele Faktoren, die die Leistung negativ beeinflussen können.
Was für Möglichkeiten hat man dabei als Sportpsychologe, jemanden da raus zu holen?
Notthoff: Ich glaube es geht erstmal darum, dass überhaupt zu sehen. In den letzten Jahren war vor allem die Leistung auf dem Platz interessant. Das Drumherum hat die Leute nicht wirklich interessiert. Wenn sich der Sportler allerdings mit seinen Problemen gesehen, wertgeschätzt und unterstützt fühlt, hat man einen ersten Ansatz, gemeinsam lösungsorientiert arbeiten zu können. Dies kann Blockaden aufbrechen und Ressourcen freisetzen.
Speziell der Frauenfußball wird zurzeit immer professioneller, medial interessanter und somit auch wirtschaftlicher. Kommt dadurch der Faktor Druck auch bei den Frauen mehr zum Tragen?
Notthoff: Der Leistungsdruck an sich war schon immer da. Alle spielen Fußball, um gewinnen zu wollen und sich möglichst gut zu präsentieren. Ich glaube allerdings, dass es medial wird, ist eine Umgewöhnung – und dadurch kann auch mehr Druck entstehen. Momentan überwiegt aus meiner Sicht aber eher noch die Freude, dass die Aufmerksamkeit überhaupt da ist und das größere finanzielle Mittel den Mädels die Chance geben, noch professioneller zu arbeiten. Denn wenn man neben dem Sport Vollzeit arbeiten muss, ist das natürlich schwieriger.
Sie haben den sportlichen Aspekt selbst erlebt. Wie war Ihr Werdegang?
Notthoff: Ich komme aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Osnabrück und habe dort angefangen zu spielen. Mit 14 bin ich auf das Sportinternat in Potsdam gegangen. Mit 16 wurde ich für den Kader der ersten Mannschaft von Turbine Potsdam berufen. Ich habe aber nie ein Erstliga-Spiel gemacht, da ich nach einem Jahr freiwillig wieder runtergegangen bin. Mir war der Druck damals zu groß. Und genau in dieser Situation hätte ich mir mehr Unterstützung gewünscht. Aber vielleicht war das auch ein Grund, warum ich den Weg der Sportpsychologie gewählt habe. Nach meinem Abi habe ich dann fünf Jahre für Werder Bremen gespielt und war zwischendurch ein halbes Jahr in den USA. In dieser Zeit habe ich am College gespielt. Als ich dann wiedergekommen bin, habe ich mir das Kreuzband gerissen. Das war auch der Moment, in dem ich mich entschieden habe, aktiv aufzuhören und in den Trainerbereich zu wechseln.
In den USA hat Frauenfußball nochmal einen anderen Stellenwert. Haben Sie das wahrgenommen?
Notthoff: Ja, auf jeden Fall. Allgemein hat Sport dort gesellschaftlich nochmal einen anderen Stellenwert, weil mit den Sportschulen / Colleges viel gemacht wird. Die Verzahnung zwischen Sport und Ausbildung ist dort auch viel enger. Und auch an der Berichterstattung sowie an den Zuschauerzahlen hat man gemerkt, dass Sport dort eine ganz andere Bedeutung hat.
Spielen Sie jetzt auch noch Fußball?
Notthoff: Ich spiele noch ein bisschen just for fun. Beruflich ist da wochenendbedingt nicht mehr ganz so viel möglich. Aber ich versuche, noch ein bisschen in der Landesliga mitzukicken (lacht).
Jetzt sind Sie beim FLVW. Sie haben selbst das Internatsleben mitgemacht. Was hat sich dort in den vergangenen zehn Jahren verändert?
Notthoff: Also damals bin ich tatsächlich nach Potsdam gegangen, weil es das einzige Internat war, in dem Frauenfußball angeboten worden ist. Es hat sich also allein hinsichtlich der Anzahl viel getan. Und wir haben in Westfalen nochmal eine ganz andere Art und Weise, das Internatsleben zu gestalten. Die anderen Internate sind vereinsbezogen, wie zum Beispiel eben Potsdam mit Turbine Potsdam oder Jena mit USV Jena. Hier spielen die Mädels am Wochenende ja in ihren Heimatvereinen weiter, werden unter der Woche aber trotzdem professionell betreut.
Und die Trainingsbedingungen an sich?
Notthoff: Ich glaube schon, dass es in dem Bereich viel professioneller geworden ist. Bei mir war es vielleicht schon noch ein bisschen der DDR-Modus. Wir haben teilweise 15 Mal in der Woche trainiert. Und wenn man beim Laufen noch reden konnte, war es eigentlich noch zu wenig. Also vor allem die Belastungssteuerung ist eine ganz andere geworden. Auch die individuelle Betreuung, also wirklich bei jedem einzeln zu schauen, was ist für die Spielerin oder den Spieler am besten. Gerade hier im Internat, bei dem die Mädchen ihren Plan auch aktiv mitgestalten können, hat sich da einiges getan.
Wie viel Einblick haben Sie schon in die inneren Strukturen Ihres neuen Arbeitsplatzes?
Notthoff: Ich glaube, dadurch, dass ich schon länger im Team rund um die Westfalenauswahl-Mannschaften bin und selbst sowohl in der Niedersachsen-Auswahl sowie auch in U-Mannschaften des DFB gespielt habe, kenne ich die Strukturen des Fußballs gut. Aber das Internat ist vielleicht noch ein Sonderbereich. Deswegen habe ich dort schon meine ersten Nächte verlebt, um einfach auch da in die Strukturen besser reinzukommen.
Welche Ziele haben Sie sich gesetzt?
Notthoff: Ich komme ja selbst als Spielerin aus der Mädchen-Talentförderung. Deswegen will ich vor allem Wege finden, wie ich die Mädels auf Ihrem Weg noch besser unterstützen kann. Ich glaube, dass die soziale Schiene in den vergangenen Jahren vielleicht noch ein bisschen zu kurz gekommen ist, sei es in der Arbeit mit den Mädels oder in der Trainer-Ausbildung. Und ich glaube, dass gerade bei Mädchen der Faktor des Wohlbefindens im Zusammenhang mit der Leistung ein ganz großer ist. Natürlich wollen wir die Spielerinnen auch technisch/taktisch ausbilden. Aber wie sieht es denn in den anderen Bereichen aus. Gibt es da noch Ressourcen, die man bündeln kann? Das will ich herausfinden.
Ist es ein Vorteil, dass Sie aus dem Bereich der Psychologie kommen?
Notthoff: Es ist ein Vorteil für mich, weil ich meinen Schwerpunkt darauf lege. Aber das bedingt sich natürlich. Das mache ich ja auch, weil ich eben aus diesem Bereich komme. Und deswegen empfinde ich das schon auch als Vorteil.