Seit dem 23. Juli laufen die Olympischen Spiele in Tokio. Wie intensiv verfolgen Sie das Ganze von Zuhause?
Pamela Dutkiewicz-Emmerich: Jetzt hier gerade fast gar nicht, weil wir wirklich von morgens bis abends Programm haben. Bevor die Leichtathletik-Wettbewerbe angefangen haben, allerdings ziemlich intensiv. Ich habe einfach eine große Liebe zum Sport. Mittlerweile kennt man auch einfach viele Sportler und verfolgt das natürlich. Als die Leichtathletik dann anfing, hatte ich aber ein bisschen Probleme, mir das anzuschauen. Da blutet schon das Herz, weil ich eigentlich gern dort wäre. Aber ich schaue es schon und verfolge es auch auf dem Handy und bei Instagram. Das ist ja heute sehr einfach (lacht).
Hatten Sie schon ein persönliches Highlight?
Dutkiewicz-Emmerich: Ganz viele. Die Leistung von Sprinterin Alexandra Burghardt hat mich krass gefreut, weil ich das immer verfolgt habe und wir auch in vielen Trainingslagern zusammen waren. Ich habe bei ihr immer mal wieder gehört, dass das Knie oder auch andere Bereiche Probleme machen. Und ich weiß, wie das in so einem Verletzungstief ist. Sie hat da wirklich ehrlich drüber gesprochen. Das hat mir sehr imponiert. Es ist jetzt einfach wie ihr eigenes Märchen. Sie hat gezeigt, wenn man alles richtig macht und sich da raus boxt, dann kann es richtig schnell werden. Das haben ihr die Wenigstens zugetraut. Das ist eine richtig schöne Cinderella-Story. Überraschungsgeschichten finde ich allgemein immer toll. Da würde ich auch die Silbermedaille von Diskuswerferin Kristin Pudenz zuzählen, oder auch die von Turner Lukas Dauser. Da sind auf jeden Fall Highlights.
"Olympia hat ein Besonderes Feuer"
2016 waren Sie selbst bei Olympischen Spielen. Was ist das Besondere an Olympia für Sie?
Dutkiewicz-Emmerich: Die Spiele 2016 das erste Mal zu erleben, war echt krass. Ich habe zwei Tage vor Ort erstmal ganz wild geschlafen, weil ich die ganzen Eindrücke verarbeiten musste. Da ist einfach alles extrem. Es ist extrem groß, es ist extrem laut, es ist bunt, es ist viel. Das muss man erstmal einordnen können. Aber es ist egal mit wem Du sprichst, Olympia hat einfach ein besonderes Feuer. Da stehen zwar die gleichen Konkurrentinnen und es ist auch der gleiche Qualifikationsmodus, aber da brennt einfach dieses Feuer. Und Fakt ist, dass es auch nur alle vier Jahre stattfindet. Das macht es schon echt rar. Ich hätte zwei Spiele erleben können, war verletzt – und „patz“ ist es bei einem Mal geblieben.
Mit der Nicht-Qualifikation für Olympia geht bei Ihnen auch der Schritt einher, den ganzen Druck, der auf Profi-Sportlerinnen und -Sportlern lastet, öffentlich zu machen. Sie haben in einer ZDF zoomIn Reportage über die Schattenseiten des Profisports gesprochen. Wieso haben Sie sich zu diesem Schritt entschieden?
Dutkiewicz-Emmerich: Das war gar nicht meine Entscheidung. Meine Freundin Maral Bazargani arbeitet bei zoomIn. Und das ZDF wollte was zum Thema Leistungsdruck machen vor den Olympischen Spielen. Sie hat mich dann ganz zart angefragt, ob ich mir das vorstellen könnte. Und eigentlich dachte ich, dass ich mich gerade in einer Heilungsphase befinde und keine Lust habe, über das Thema zu sprechen. Sie hat mich dann aber überzeugt, dass man mit dem Thema eine Art Mission nach Außen trägt. Deswegen habe ich zugestimmt. Ich finde, es ist gut gelungen, obwohl es schwierig ist. Die wenigsten verstehen dieses Thema. Aber ich hoffe, dass wir es gut rüberbringen.
Wieso ist Leistungsdruck im Sport so ein schwieriges Thema und weshalb reden so wenige drüber?
Dutkiewicz-Emmerich: Naja, ich glaube, in dem Moment, in dem man selbst in diesem Kampf steckt, thematisiert man es nicht. Das hat auch Speerwerfer Thomas Röhler schön gesagt, der in einer ähnlichen Situation war wie ich und 2020 auf Wettkämpfe verzichtet hat. Ganz bewusst, um Abstand zu gewinnen und in Ruhe zu trainieren, ohne Druck eines bevorstehenden Wettkampfs. Und trotzdem hat es für 2021 nicht gereicht. Das hat auch viel mit positiven Gedanken zu tun. Und wenn es dann grad nicht läuft, sagst Du eben nicht, komm‘, ich nehme Euch da jetzt mit rein. Aber es ist wichtig, auch diese Seite offen zu thematisieren, wenn man den Abstand hat, dass man darüber reden kann. Und ich glaube, dass unsere Gesellschaft jetzt bereit ist, bestimmte Tabu-Themen anzusprechen. So langsam bröckelt da was und wir merken, dass wir alle nur Menschen sind. Und das tut sogar richtig gut, wenn das mal einer anspricht.
Die US-Turnerin Simone Biles hat das Thema des mentalen Drucks bei den Olympischen Spielen selbst thematisiert und dabei betont, dass der Faktor Mensch im Leistungssport eine zu geringe Rolle spielt. Sehen Sie das auch so?
Dutkiewicz-Emmerich: Ja. Das ist eine Erfahrung, die ich auch häufig gemacht habe. Die Leistung steht im Vordergrund, besonders in der Leichtathletik. Da gibt es eine hohe Dichte an guten Athleten. Wenn Du es nicht machst, macht es halt jemand anderes. Entweder Du ergreifst die Chance, oder eben nicht. Und es gibt dort bestimmte Strukturen, die festgefahren sind, weil bestimmte Menschen die Fäden in der Hand halten. Auch wenn nach Außen eine Pro-Athlet-Haltung vermittelt wird, läuft es in Wirklichkeit oft anders. Du musst immer funktionieren. Auf den Wettkämpfen musst Du Leistung zeigen, zwischen den Highlights sollte man sich dann da und dort präsentieren. Am besten bist du dabei noch auf Instagram präsent und nimmst die ganzen anderen medialen Termine auch noch mit. Und Du kannst es nicht richtig machen. Nimmst du zu viele Termine wahr, vernachlässigt du angeblich deinen Sport. Bei zu wenigen, lässt du Chancen liegen. Es gibt wahnsinnig hohe Erwartungen an die Athleten. Und man tut so, als wären wir nicht einfach wie jeder andere auch – einfach nur Menschen.
Leichtathletik verlangt unglaublich viel Disziplin und steht ja – wie angesprochen – auch mit viel Stress in Verbindung. Was ist dann das Schöne daran, das einen dabei hält?
Dutkiewicz-Emmerich: Alles (lacht). Ich habe heute in der Halle noch daran gedacht, weil wir auch hier so ein strammes Programm haben. Du machst als Sportler trotzdem einfach das, was Du liebst. Und Du hast auch einen ganz anderen Tagesablauf. Jeder Tag ist anders. Ich bin jeden Tag draußen in der Sonne. Ich habe immer Leute um mich herum, die das, was ich mache, genau so sehr lieben wie ich. Du bist immer in einer tollen Atmosphäre. Dann ist es auch immer wieder schön, wenn du etwas Bestimmtes trainierst und auch wirklich besser wirst. Manchmal denkt man auch, dass das nächste Ziel unerreichbar ist. Und dann erreicht man es doch. Das macht einfach Spaß. Und diese große Sportfamilie ist auch etwas Besonderes. Es braucht nicht viel und man versteht sich. Ich könnte jetzt mit der Boxerin Christina Hammer sprechen und im nächsten Moment mit einem Segler und irgendwie hätten wir ganz schnell die gleiche Ebene. Sport verbindet einfach. Und er ist limitiert. Leistungssport funktioniert nur in einem bestimmten Lebensabschnitt. Das macht es auch besonders.
Gehen wir einmal ein bisschen weg vom Sport: Sie haben mal gesagt, dass Sie bei einem Buch sehr gut abschalten können, um auch dem Druck für einen Moment zu entgehen. Was lesen Sie gerade?
Dutkiewicz-Emmerich: Gerade nicht so viel (lacht). Zuletzt habe ich was von Curse gelesen, dem Rapper. Der ist auch systemischer Berater und Yoga-Lehrer. Ich lese das Buch, weil ich auch in die systemische Beratung gehe und dort meine Ausbildung beginne. Meistens haben meine Bücher irgendwas mit Menschlichkeit zu tun. Rund um den Menschen finde ich alles sehr spannend. Was haben Menschen erfahren, was denken und fühlen sie? Das interessiert mich.
"Vollgas in das zweite Leben"
Sie haben einmal gesagt, dass der Hürdenlauf für Sie ein bisschen für das Leben stehen würde, weil man immer wieder vor der nächsten Hürde steht. Was sind denn die nächsten Hürden, auf die Sie zulaufen?
Dutkiewicz-Emmerich: Aktuell übe ich mich darin, gar nicht so weit zu gucken. Jetzt bin ich gerade in einer entspannten Rehaphase, in der ich eigentlich dem Körper Ruhe gebe. Dann mache ich ja jetzt den Trainerschein hier im SportCentrum, werde nochmal in den Urlaub fahren, nochmal zu einem Rehe-Zentrum gehen und dann entscheidet sich alles. Ich denke wirklich ganz kleinschrittig gerade.
Wie ist die Idee entstanden, jetzt die C-Lizenz zu absolvieren?
Dutkiewicz-Emmerich: Ich hatte schon immer im Hinterkopf, dass ich nicht irgendwann aufhören möchte und dann gar nicht mehr auf dem Platz stehe. Ich sehe mich jetzt nicht unbedingt als Trainerin, die mit nationalen Spitzenathleten trainiert, noch nicht. Noch ist mir das irgendwie zu fern. Aber ich hätte wirklich Lust, an der Basis anzusetzen. Ich habe das nie fokussiert und mich auch noch nicht informiert, wo ich das machen kann. Und da der Körper gerade nicht mitmacht, habe ich etwas gesucht, dass körperlich nicht anstrengend ist, mich aber interessiert. Da kam mir diese Woche hier im SportCentrum Kaiserau sehr gelegen.
Wieviel kann jemand mit Ihren Erfahrungen dabei noch lernen?
Dutkiewicz-Emmerich: Ganz viel (lacht). Alles was den Wurfbereich anbelangt, da bin ich eine absolute Null. Generell die Methodik, um Kinder zu trainieren. Das ist ja nochmal eine ganz andere Nummer. Einfach so Basisdinge. Irgendwann beschäftigt man sich im Profisport ja nur noch mit Details. Und man kann sich vor lauter Details auch verlieren. Ich arbeite mit einem Biomechaniker zusammen. Dabei geht es wirklich um Miliwinkel. Wir probieren da an das absolute Ideal ranzukommen. Und sich jetzt im Gegensatz dazu einfach mal mit der Basis zu beschäftigen. Wo hol ich Kinder ab? Wie schaff ich Variationen? Das finde ich interessant und da lerne ich wirklich viel.
Sie haben ja auch Grundschullehramt studiert. Was ist das Schöne an der Arbeit mit Kindern?
Dutkiewicz-Emmerich: Grundschullehramt habe ich mir ausgesucht, weil ich eben gern mit Menschen zusammen bin. Ich habe 2017 den Bachelor abgeschlossen. Ich werde aber keinen Master mehr dranhängen. Aber ich mag die Ehrlichkeit von Kindern, das Direkte. Das was man denkt, wird halt einfach ausgesprochen. Und diese krasse Lebensfreude. Kinder haben auch richtig Lust was zu lernen. In der Arbeit mit Kindern steckt einfach unglaublich viel Spaß.
Abschließend steht noch die Frage im Raum, wie es bei Ihnen im sportlichen Bereich weitergeht. Wissen Sie das schon, oder läuft da noch ein Prozess?
Dutkiewicz-Emmerich: Da bin ich echt noch in einem Prozess. Und das ist etwas, was ich mir jetzt auch erlaube, mal keine Klarheit zu haben. Sonst wusste ich das immer ganz genau. Im April wusste ich, was ich im November mache. Ich hatte einen ganz klaren Plan. Das tut mir eigentlich auch gut, weil ich so ein Mensch bin. Aber jetzt gerade ist das nicht zielführend, weil ich gar nicht weiß, was mein Körper mir sagt. Und die Entscheidung, wie es weitergeht, kann ich nicht vor diesen Faktor hängen. Ich bin also noch in diesem Prozess und werde dann klug entscheiden. Ich liebe diesen Sport. Mein eigentlicher Plan war es, meine Karriere mit den Europameisterschaften in München im nächsten Jahre zu beenden. Ich habe schon mal eine EM im eigenen Land erlebt und das war großartig. Aber ich habe natürlich auch einen Anspruch an mich. Ich mache das nicht, um an einer Deutschen Meisterschaft teilzunehmen oder oft auszuscheiden. Und um ein bestimmtes Leistungsniveau zu haben, brauchst Du einen gesunden Körper. Es hängt also davon ab, was kann und will mein Körper. Wenn der Körper mitspielt, dann Vollgas. Und wenn nicht, dann Vollgas in das zweite Leben.