Die familiäre Begeisterung für die Leichtathletik ist vor rund einem Jahrzehnt der Grund für Jan Wiese, sich in dieser Sportart zu versuchen. Seine drei Jahre ältere Schwester war bereits begeisterte Leichtathletin, sein Vater avancierte so zum Trainer. Der damals noch als „Mini“ aktive Fußballer Jan, sah mit Begeisterung bei den verschiedenen Disziplinen zu, mit Erreichen des Mindestalters von sechs Jahren durfte er sich endlich im Laufen, Springen und Werfen beweisen. In seiner Heimat Ahlen im östlichen Münsterland schloss er sich der Juniorengruppe für Sechs- bis Zwölfjährige der Leichtathletikgemeinschaft an.
Nach dem Wechsel in die Trainingsgruppen der älteren Kinder, entschied Jan sich zunehmend den Sprint- und Sprungdisziplinen zuzuwenden. Mittlerweile ist Weitsprung sein sportlicher Schwerpunkt. „Mit 14 Jahren bin ich direkt bei meiner ersten Teilnahme Westfalenmeister im Weitsprung geworden. Das ist definitiv der Erfolg, über den ich mich am meisten gefreut habe“, berichtet der Ahlener stolz von seinen bisherigen Höhepunkten in der jungen Karriere. „In einem größeren Teilnehmerfeld mit besseren Mitstreitern als bei sonstigen Wettkämpfen gleich so gut mithalten zu können, war etwas Besonderes.“ Ein Kunststück, das er wenige Wochen später bei den NRW-Meisterschaften wiederholen konnte. „Ein Jahr darauf wurde ich dann schon Vierter bei den deutschen U16-Meisterschaften und habe den Bundeskaderbogen für den Weitsprungkader erhalten.“ Mit dem Bundeskaderbogen erhält ein junger Nachwuchsleichtathlet vom jeweiligen Bundestrainer die Bestätigung, dass man das Potenzial hat, für einen der wenigen Kaderplätze des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (im Weitsprung-Nachwuchs-Kader NK 2 sind es derer lediglich drei), ausgewählt zu werden. Im Oktober 2019 kam dann die tolle Nachricht: Jan wurde in den NK 2-Kader des DLV berufen, in dem er ergänzend zur Förderung im „goldgas Talent-Team“ begleitet wird.
„Faszinierend, was der eigene Körper leisten kann“
„Ich finde es faszinierend, herauszufinden, was der eigene Körper im Stande zu leisten ist“, antwortet der 15-Jährige auf die Frage, was für ihn die „Faszination Leichtathletik“ ausmacht. „Die verschiedenen Disziplinen der Leichtathletik sind abwechslungsreich – es ist nicht immer das gleiche, wie zum Beispiel beim Fußball“, lacht er. Insbesondere in seiner Paradedisziplin sieht Jan diese Abwechslung: „Auf der einen Seite muss man die verschiedenen Techniken der verschiedenen Phasen koordinieren – Anlauf, Absprung, Flug und Landung. Das erfordert eine gewisse Flexibilität. Andererseits muss man beispielsweise den Anlauf immer exakt gleich hinbekommen, nur so funktioniert der perfekte Sprung.“ Das sei eine der, wenn nicht sogar die größte Herausforderung im Training eines guten Weitspringers.
Bei diesen Anforderungen erscheint eine entsprechende Erholung doch unerlässlich. Oder? Von wegen! Vier Einheiten pro Woche stehen mindestens auf Jans Trainingsplan, dazu kommen gelegentliche Trainingsmaßnahmen bei der Nachwuchsbundestrainerin am Bundesstützpunkt Bochum/Dortmund. „Ab und zu gehe ich mit meinem Vater noch zusätzlich ins Fitnessstudio“, berichtet er. Wie ist das denn, wenn der eigene Vater einen in einer Individualsportart trainiert? „Überraschend gut“, lacht Jan. Zum Großteil trainiert er mit seinem Vater, die Trennung zum Sport kriegen beide ganz gut hin, wie Jan befindet. Ein Punkt, der beim Blick auf die sonstigen Aktivitäten deutlich wird. Fahrradtouren mit dem Mountainbike oder dem Rennrad unternehmen beide gerne zusammen – nur Leichtathletik wäre doch zu einseitig. Andere Aktivitäten finden im vollen Wochenplan des Schülers aber keinen Platz mehr.
Schließlich besteht das Leben nicht nur aus dem Sport auf der Tartanbahn, mit 15 Jahren kommt für einen Gymnasiasten mit der Oberstufe der letzte, vermutlich umfangreichste und gleichsam wichtigste Abschnitt der Schullaufbahn hinzu. Zum Zeitpunkt des Interviews war das Schuljahr gerade zwei Wochen alt, Jan zeigte sich aber zuversichtlich, den Sport und die Schule mit gleichem Elan angehen zu können. „Ich habe Glück mit meiner Schule, da ist spätestens um drei Uhr Schulschluss, das auch nicht mehr als zwei- oder dreimal pro Woche“, erklärt er. Die Freistunden, die zu einem Stundenplan der Oberstufe dazugehören, sollen ebenfalls zum Training dienen, so ist es mit seinem Trainer abgemacht. „Natürlich erst, wenn die Hausaufgaben erledigt sind“, schmunzelt Jan.
Gegner im Wettkampf, außerhalb Freunde
Dementsprechend präsent ist der Sport auch in seinen Freundschaften. Jans bester Schulfreund ist zwar kein Leichtathlet, als Leistungssportler im Fußball sind ihre Sportarten aber natürlich immer wieder Thema. Selbstverständlich hat Jan viele seiner guten Freunde unter seinen Mitstreitern im Sport gefunden, er nennt zum Beispiel Marc Petruschka und Madleen Malecki, beide Teil der „goldgas Talent des Monats“-Reihe und Mitglieder des „goldgas Talent-Teams“.
Hier fördert der FLVW die vielversprechenden Nachwuchstalente auf ihrem Weg in das Leistungssportlerleben. Eine Förderung, die vor allem dank der nunmehr vierjährigen Kooperation des Verbandes mit seinem Partner goldgas möglich ist. Die Unterstützung des Energieversorgers ermöglicht es der westfälischen Leichtathletik, jährlich das „goldgas Talent-Camp“ durchzuführen. Über vier Tage werden Nachwuchsathletinnen und -athleten auf ihre Stärken wie Schwächen getestet, Leistungsdiagnosen erstellt und die Besten unter ihnen für die weitere Förderung ausgewählt. Diese besteht dann aus den Kaderlehrgängen des „goldgas Talent-Teams“. Die besten Athletinnen und Athleten aus Westfalen werden hier an den Leistungssport herangeführt. Neue Ideen oder Vorschläge von den Kadertrainern, Einheiten zum Leistungssportlerleben neben dem Sportplatz wie moderne Trainingsbedingungen sind die Vorzüge, die die intensive Kooperation ermöglicht. Im Talent-Camp 2018 hatte Jan Wiese sich für das Talent-Team empfohlen und direkt den Sprung in den Nachwuchskader geschafft. Viele der anderen Nachwuchsathleten kennt er von Wettkämpfen. „Im Wettkampf sind wir vielleicht Gegner, außerhalb aber Freunde“, beschreibt der Weitspringer die Stimmung im Team. „Am Anfang ist man etwas zurückhaltender, jetzt kenne ich aber viele und die Lehrgänge machen sehr viel Spaß“, meint er. Die Förderung im „goldgas Talent-Team“ hat für ihn neben dem gesellschaftlichen Aspekt vor allem ganz praktische Vorzüge: „Gute Trainingsbedingungen, die Kleidung oder schnelle Arzttermine – es gibt viele Vorteile.“
Wagt man einen abschließenden Blick in die berufliche, wie die sportliche Zukunft – wo sieht Jan Wiese sich? „Ich möchte Fluglotse werden“, antwortet er sehr direkt. Die Herausforderungen und Möglichkeiten des Jobs faszinieren den 15-Jährigen, zudem sieht Jan sich derzeit nicht in einem Studium. Hauptberuflicher Leistungssportler zu werden kann er sich im Moment nicht wirklich vorstellen. „Natürlich möchte ich immer auf hohem Niveau Weitsprung betreiben, aber beruflich ist es mir zu unsicher. Wenn sich der Leistungssport mit einem anderen Beruf verbinden lässt, mach ich das gerne so lang wie es geht, aber nicht um jeden Preis. Bin ich mal ernsthaft verletzt, möchte ich nicht sofort ohne Job dastehen.“ Natürlich hat Jan in der Leichtathletik trotzdem große Pläne: Eigentlich wollte er an den U18-Europameisterschaften im Juli 2020 in Rieti/Italien teilnehmen, die aber wegen der Corona-Pandemie abgesagt wurden. Jetzt hofft er auf die nächste Saison, auch wenn noch nicht klar ist, wie es mit dem internationalen Wettkampfkalender nach den Ausfällen und Verschiebungen wegen Corona weitergeht. Wie bei den meisten Nachwuchsleistungssportlern träumt Jan von Weltmeisterschafts- und Olympia-Teilnahme, „der Weg dahin ist aber noch sehr weit“, wie er feststellt.
Was treibt denn einen 15-jährigen Schüler an, sich für diese Ziele zu motivieren? „Meine Erfolge treiben mich natürlich an. Aber auch meine Freunde – diese freundschaftliche Konkurrenz im Sport – spornt an. Was mich zusätzlich sehr motiviert ist, dass sich mein Vater immer sehr süß freut, wenn ich wieder eine Bestleistung gesprungen bin!“