Viel unterwegs ist Jan Fitschen seit seinem Karriereende immer noch. „Ich dachte ja, wenn ich einmal aufhöre, dann gurke ich nicht mehr so viel rum“, schmunzelt er und fügt hinzu: „Aber es macht eben auch Spaß.“ Er fasst zusammen: „Ich bin momentan freiberuflich tätig. Ich habe tausend verschiedene Jobs.“ So steigt der Diplom-Physiker und Wirtschaftswissenschaftler beispielsweise wöchentlich in den Schnellzug nach Berlin, um dort für zwei Tage bei seinem Sportartikelausrüster Nike im Marketingbereich zu arbeiten. Zum einen ist er dort als Laufcoach tätig und trainiert Hobbyläufer, zum anderen hält er auch neben der Tätigkeit für Nike Vorträge oder nimmt Sponsorentreffen wahr.
Und dann ist da ja noch sein Buch. 2015 veröffentlichte Fitschen ein Buch mit dem Titel „Wunderläuferland Kenia“, aus Liebe zu Kenia und aus Liebe zum Laufen. Darin geht er auf humorvolle Art und Weise der Frage nach, warum die Kenianer eigentlich alle so schnell laufen können. Mit Lektüre unter dem Arm und seinem passend bedruckten Bulli düst der 40-Jährige regelmäßig quer durch die Republik und liest Laufbegeisterten aus seinem Werk vor. Langweilig wird es ihm bei seinem Wochenpensum nicht. „Solange das meine Frau und meine Tochter mitmachen, geht das in Ordnung“, betont er.
28 mal wurde Jan Fitschen deutscher Meister. Eine Bilderbuchkarriere? Nein, überhaupt nicht. Verletzungen kannte er nur zu gut. 2002 bei den Europameisterschaften in München war der Wattenscheider beispielsweise in großartiger Verfassung und hätte eine Medaille gewinnen können, musste aber wegen eines Magen-Darm-Infekts den Start absagen. 2004 zwickte der Oberschenkel und 2008 zwang ihn die Plantarsehne zu einer zweijährigen Pause.
„Würde alles noch einmal genauso machen“
Auch sein Karriereende 2015 verkündete er nach mehrfachen Fußoperationen. Auf die Frage, was er verändern würde, falls er seine Karriere nochmals vor sich hätte, antwortet er: „Ich würde alles noch einmal genauso machen. Denn ich denke es kann alles nur schlechter werden. Ich wurde Europameister auf einer Langstrecke. Das ist das Nonplusultra, so als hätte man sechs Richtige gezogen“, strahlt er über das ganze Gesicht und spielt damit auf das Rennen seines Lebens an.
Am 08.08.2006 um 20:20 Uhr fällt im Ullevi-Stadion in Göteborg der Startschuss zum 10.000-Meter-Rennen bei der Leichtathletik-Europameisterschaft. Mit dabei: Jan Fitschen. Seine Paradestrecke sind eigentlich bis dahin die 5.000 Meter, aber er entscheidet sich aus taktischen Gründen kurz vor der EM um und das obwohl er die längere Strecke erst dreimal vorher gelaufen war.
„Mit einem achten Platz wäre ich durchaus zufrieden gewesen“, sagt er rückblickend, denn favorisiert waren andere. Wie zum Beispiel José Manuel Martinez und Juan Carlos de la Ossa, die das Rennen ab der Hälfte gestalteten und zum Ende hin deutlich anzogen. Fitschen, der als Vierter 500 Meter vor Schluss abgeschlagen schien, kämpfte sich scheinbar locker und leichtfüßig wieder ran.
Die letzten 400m in Göteborg
Die Glocke wird für ihn geläutet, die letzte Runde. Es sind noch ein paar Meter zu Spitzengruppe. Doch Jan Fitschen fightet. Das spürten auch die Kommentatoren im Fernsehen und flippten nun langsam aus. „Jan Fitschen kommt da wieder ran. Das wäre ja ‘ne Sensation... Der wird immer stärker... Das ist deine Chance, Junge“. Jan Fitschen ist währenddessen beim Endspurt. „Lauf, Junge! Das kann dein Rennen werden... Und jetzt kommt Jan Fitscheeeen... Jan Fitschen wird Europameister!“. Gänsehaut pur!
Es ist eine Geschichte mit einem grandiosen Happy End, wie sie eigentlich nur in Märchen erzählt werden. Mehr als 136.000 Mal wurde Jans Rennen bis heute im Internet angeklickt und gilt für viele Freizeit-, aber auch Profiläufer, vor einem Rennen als Motivationskick.
Heute träumt der Blondschopf selbst nicht mehr von großen Siegen und persönlichen Bestleistungen. „Heute träume ich von meiner kleinen Familie, die mich sehr glücklich macht“, lacht er und fügt schnell hinzu: „Wahnsinn, früher hat man genau solche Leute für spießig und langweilig gehalten.“ Laufen geht der 1,76 Meter große Athlet nur noch zweimal pro Woche. Viele Kilometer lassen die Füße nach den langwierigen Verletzungen nicht mehr zu.
Trotzdem war der Jubilar vor der Geburtstagsparty, zu der Freunde, Nachbarn, Wegbegleiter aus Leistungssporttagen, ehemalige Trainingskameraden und sein Trainer Tono Kirschbaum gekommen waren, schon mit Freunden beim Mettmanner Bachlauf unterwegs. Laufen in der Gruppe ist das, was ihm immer am meisten Freude bereitet hat. Mit dabei: Sein alter Mannschaftskollege Alexander Lubina und Klaus Eickel, ein Freund aus Studiums-Tagen. Gewonnen hat diesmal keiner der drei, aber sie hatten zusammen Spaß und das ist das, was für Jan Fitschen heute zählt.