Ein Leben für den großen Wurf

Schritt für Schritt geht Laura Schütz die rote Tartanbahn an der Jahnstraße ab. Nach einigen Metern legt sie ihren Schuh auf den Boden. Er dient als Markierung. Dann greift sie ihren Speer, holt einmal tief Luft, läuft an – und wirft. Die 16-jährige Leichtathletin gehört seit dem vergangenen Jahr zum goldgas Talent-Team NRW. In dieser Woche trainiert sie gemeinsam mit Marc Gast, der ebenfalls Teil des Talent-Teams ist, im SportCentrum Kaiserau. Alles unter den detailversessenen Augen von NRW-Kadertrainer Thomas Stienemeier. Denn beide Athleten haben große Ziele.

Seit Schütz vier Jahre alt ist, gehört Leichtathletik zu ihrem Leben. Die gelernte Siebenkämpferin fühlt sich in vielen Disziplinen wohl. Eine hat es ihr aber besonders angetan. „Ich war schon beim Ballwurf gut. Der wurde irgendwann abgeschafft. So bin ich zum Speerwurf gekommen“, sagt die Athletin des DJK VfL Willich auf der Sportanlage in Kaiserau. Dabei begeistert sie vor allem die Technik. Denn damit der 600 Gramm schwere Stab mit der funkelten Metallspitze weit fliegt, benötigt man jede Menge davon. Der Anlauf, die Geschwindigkeit, der Abwurfwinkel, das Timing – alles muss passen. „Auf dem Niveau, auf dem sich unsere goldgas-Talente befinden, arbeiten wir im Detail an der Verbesserung jedes einzelnen Parameters. Die Grundtechniken sitzen bei den beiden“, erklärt Stienemeier, der seit fast 19 Jahren Kadertrainer der Speerwerferinnen und Speerwerfer in NRW ist.  

Blick in die Weite

Um auf dieses Niveau zu kommen, ist vor allem eines gefordert: jede Menge Training. Das sagt auch der Sportler von der LG Lippe-Süd. „Ich stehe sechs bis sieben Mal in der Woche auf dem Sportplatz“, erklärt der junge Mann mit dem kräftigen Oberkörper. Und auch er weiß genau, warum er sich für den Speerwurf entschieden hat. „Das Hinterhergucken, wenn der Speer in der Luft ist und das Wissen, wie weit es damit gehen kann, das macht einfach Spaß“, sagt der aufstrebende Leichtathlet. Bei Gast ist es schon sehr weit gegangen. Über 61 Meter hat er den Speer schon mehrfach durch die Luft fliegen lassen. Seine Ziele für dieses Jahr sind aber noch weitaus größer. „Wenn es verletzungsfrei in der Vorbereitung läuft, will ich in den Endkampf um die Deutsche U18-Meisterschaft einziehen und dort an die 65-Meter-Marke kommen“, sagt der ehrgeizige Sportler.

Bis er seinem liebsten Sportgerät am ersten Trainingstag auf der Sportanlage des Fußball- und Leichtathletik-Verbandes Westfalen (FLVW) hinterhergucken darf, dauert es allerdings eine Weile. Am Morgen steht zunächst eine Sprinteinheit in der Halle an. Geschwindigkeit gehört auch zu den Parametern, an denen die goldgas-Talente stetig arbeiten müssen. „Wir müssen darauf achten, dass wir alle Bereiche in gleichem Maße verbessern. Wenn ein Ungleichgewicht entsteht, schmälert das auch die Leistungsfähigkeit der anderen Bereiche“, sagt Kadertrainer Stienemeier.

Ehrgeizige Ziele

Am Nachmittag sausen die blau-weißen, lila-gelben oder auch neongrünen Stäbe dann aber durch die Luft. Nach einer halbstündigen Aufwärmphase mit anschließender Speergymnastik, bei dem vor allem der Oberkörper ausgiebig gedehnt wird, geht es auf die Wurfanlage an der Jahnstraße. Schütz, die aus Willich in der Nähe von Düsseldorf kommt, macht den Anfang. Die ersten Speere wirft sie aus dem Stand. Dann folgen 3er-, 5er-, und 7er-Anlauffolgen, bis es schließlich in den Sprint und in den vollen Wurf geht. Auch das 16-jährige goldgas-Talent, deren Bestmarke bei 46,26 Meter liegt, hat ambitionierte Ziele. „Die Deutsche Meisterschaft ist schon mein Ziel. Dann muss man gucken, was danach noch geht“, sagt sie.

Nach der Willicherin lässt auch Gast die Speere los. Mit großen Schritten und der Speerspitze an der Nase rennt er mit langausgestrecktem Arm über den roten Boden, bis eine explosionsartige Bewegung das 2,70 Meter bis 2,80 Meter lange Wurfgerät in die Luft schleudert. Und genau dann hat der 17-Jährige seinen ganz besonderen Moment. Ruhig steht er am Abwurfpunkt und schaut dem Speer hinterher. Nach wenigen Sekunden schlägt er auf dem Rasen auf und lässt etwas Erde in die Luft fliegen. Gast dreht sich um, greift die nächste bunte Mischung aus Holz, Metall und Carbon. Wenig später wiederholt sich das Schauspiel. Stetiger Begleiter: die kräftige Stimme seines 46-jährigen Trainers. „Der Arm war nicht ganz durchgestreckt“, hört er seinen Trainer rufen. „Wenn du darauf beim nächsten Wurf achtest, geht die Post ab“, sagt der Kadermeister, der von seinen Schützlingen überzeugt ist. „Beide bringen unglaublich viel für den Sport mit. Die Endkämpfe der Deutschen Meisterschaften sind ein realistisches Ziel. Wenn sie so weitermachen, muss ich das aber nochmal nach oben korrigieren“, sagt der breite Mann mit den kräftigen Händen und grinst.

Die ganze Woche haben die beiden Athleten in Kaiserau noch Zeit, um an Ihrer Technik zu feilen. Mittwochmorgen steht zunächst Sprungkraft auf dem Plan. Dann geht es in die Aufwärmphase, bevor am Nachmittag erneut die Pfeile durch die Luft fliegen. Immer mit dem Gedanken, einmal den ganz großen Wurf zu landen.