Sein Nachruf im Wortlaut:
Der Robert Redford des Sports
„Ja, Leute, was ist das? Ein Trainingslauf?” Kleine Pause. “Weltrekord!” Wir schreiben August 2008. Peking. 100 Meter der Männer, die olympische Show von Usain Bolt. Dazu die Handlungsschnelligkeit eines Reporters. Wolf-Dieter Poschmann in seiner wohl besten Rolle: Unvorhersehbares zu kommentieren. Mit einer Stimme, die Zahlen als Rekorde erst funkeln lässt. Ein Reporter, mit Herzblut und größter Empathie zur Leichtathletik. Eine Sportart, die er selbst als Läufer gelebt und geliebt hat.
12. September 2021. Das ISTAF, ältestes Sportfest der Leichtathletik-Welt, ist 100 Jahre alt. Drei Tage zuvor ist Wolf-Dieter Poschmann beerdigt worden. Mit 70! Kein Alter, in dem man Lebewohl sagt! Wir wussten nichts von seiner Krankheit und der Tod sagt nicht wann.
Eine Woche zuvor: Grill-Imbiss in Wiesbaden. Hinter der Theke unterhalten sie sich über Belmondo. Der sei gerade gestorben, sagt die Frau. Der Mann: „Und auch der Wolf-Dieter Poschmann.“ Wir unterhalten uns: „Ja“, sagt der Grillmeister, „das war die Stimme beim Fußball, bei der Leichtathletik, im ZDF.“ Ein Sportjournalist mit Belmondo auf einer Stufe – aus Volkes Mund. In den sozialen Medien schreibt der Leichtathletik-Journalist Martin Neumann: „Worte. Sie waren immer seine Stärke, seine Kraft. Uns fehlen sie gerade.“ Das Netz verbeugt sich.
Er, der mit seinen blauen Augen 1986 auf den Lerchenberg kam. Alle Welt nennt ihn „Poschi.“ Sein Mentor: Dieter Kürten, der ihn lehrt, aus Sportereignissen Höhepunkte zu kreieren. Durch 280 Moderationen im aktuellen Sportstudio wird er zum Robert Redford des Sports.
In seiner Krankheit bleibt er bis zum Schluss ein typischer Poschi: Stark sein, keine Schwäche zeigen. Keine Ausrede finden. Härte gegen sich selbst. Aus Robert Redford wird zum Ende John Wayne. Auch die ISTAF-Macherinnen und -Macher sind sprachlos. Nicht nur diesem Sportfest hat er jahrzehntelang seine leidenschaftliche Stimme als Stadionsprecher „geliehen“.
Nachrufe können auch Aufrufe sein, diese zu Ende zu lesen. Wolf-Dieter Poschmann polarisierte. In seiner Rolle als Sportchef, gerade mal 44 Jahre alt, war er auch oft Manager, wie sein Vater bei Siemens. Wolf-Dieter Poschmann verlangte von seiner Sportredaktion Perfektion, unstillbare Energie bis hin zur Atemlosigkeit, gar Selbstaufgabe. Vielen war das fremd, hat weh getan. Gar verprellt fühlten sich einige.
Rastlosigkeit prägte ihn
Poschi war Zwilling, geboren in Köln. Durch den Beruf des Vaters an verschiedenen Orten wird er durch viele Schulen geschleust, zwischen München, Köln und Bensberg. Diese Rastlosigkeit hat auch ihn geprägt. Köln ist eine Art Liebe, hier lernt er seine spätere Frau Elfi kennen. Wird Türsteher, Platten-Aufleger, DJ im DING, der berühmten Studenten-Disko. Hält sich mit Taxifahrten über Wasser, führt mit Elfi ein Wein-Restaurant, die „Amphore“ in der Mauritiusstraße. „Einer“, so sagen seine ehemaligen WG-Mitbewohner, „der nie eine Krawatte anlegen wird“. Denkste!
Zum 50. Geburtstag schenkt seine Redaktion ihm den Film: „Poschi rennt“: Anekdoten reihen sich an Anekdoten: Rolf Kramer kommentiert in den 70er Jahren seinen Lauf zu Ostern in Paderborn, ohne zu wissen, der wird mal Sport-Chef. Ein Taxifahrer nennt ihn Günter Poschmann. Wolf über sich selbst: „Wolf-Dieter nur, wenn es ernst wurde.“ Ein Reporter-Duo wächst zusammen und wird von Norbert König 2000 in Sydney verwechselt: „Und jetzt geht es weiter mit den Reportern Wolf-Dieter Leissl und Peter Poschmann!“ Seine Eltern nennen die ersten Sport-Worte auf Kölsch: Poschi ist drei Jahre alt und kommt begeistert vom Sportplatz: „Mami, da hat doch einer tatsächlich zum Schiedsrichter gesagt, du schäler Emmer.“
Erst Fußball, dann Leichtathletik. Rheinberg, Wattenscheid, ASV Köln. 1979: Stuttgart, die Deutschen Meisterschaften. Harald Schmid wird die Elite über 400 Meter besiegen, in 44,92 Sek. Über 5.000 Meter startet ein 28 Jahre alter Schlacks, zuvor im Trainingslager in den USA. Dort hat er sich auch mit einer neuen, schicken Hose eingedeckt. Nur die ist nicht regelkonform zum Leichtathletik-Vereins-Trikot von Wattenscheid. Ein schwäbischer Kampfrichter will einen Fehlstart von Poschi provozieren, „damit der Kerle hier aus dem Felde kommt“, weil er partout die Hose nicht wechselt. Ein anderer Kampfrichter hilft. Poschi bleibt im Rennen und wird am Ende Vierter, in 13:47,6 Minuten. Einer, der vom Decksteiner Weiher in Köln, über den Berliner Tiergarten bis hin zum Ober-Olmer Wald jede Laufstrecke kennt.
In den stillen Jahren, nach dem Tod seiner Mutter, besucht er oft den Vater in Steinenbrück, der dort alleine im Bergischen wohnt. Auch das ist eine Seite. Die hilfsbereite: Er kauft Brötchen in Mainz, um mit Vater Otto gemeinsam zu frühstücken. Nach 170 Kilometern Autofahrt. Um ihm kein schlechtes Gewissen zu machen, erzählt Poschi eben von einem Abstecher von einer Dienstfahrt. Der Sohn war oft im Elternhaus frühstücken, bis der Vater im Alter von 94 im Februar 2020 stirbt.
Poschi war Pate im Kinderhospiz in Bethel
Als Poschi im Mai 70 wird, würdigt der Olympiasieger Nils Schumann in einer Kolumne „Poschis“ Strahlkraft als Reporter. Poschi antwortet mit einem langen Brief an Nils, den er als Reporter 2000 bildhaft ins Ziel „katapulierte“. Es ist das letzte Schreiben zwischen ihnen. Poschi, der das Lehramt studiert hatte, war Pate in Bethel für das Kinderhospiz und wenn Not in der Krankheit war, hat er Hilfe angeboten, natürlich nie ohne „platten Spruch“: „Mach uns den Babbel“, schrieb er mir im Herbst 2015, wohlwissend, dass Markus Babbel mit der gleichen Krankheit wie ich auch wieder laufen lernte – aus dem Rollstuhl heraus.
Die Kunst, den Tod zu akzeptieren, ist das schwierigste Fach des Lebens und benötigt gleichermaßen Kraft, Gedanken zu teilen, um Trost überhaupt zu zulassen. Ein Großteil der heutigen Sportredaktion hat Poschi im ZDF vor über einem Vierteljahrhundert zusammengestellt und damit Karrieren ermöglicht. Viele haben durch ihn gelernt. Von einem, der aus seiner Sauna mit Glasfront am Sonntagabend mit einem Fernseher davor Sendungen nachbetrachtet hat, um in Konferenzen auf Fehler aufmerksam zu machen. Diese Kolleginnen und Kollegen sind sein Erbe, auf das „Wolf“ stolz sein darf.