Hinter dem Anlaufschmerz verbergen sich oft Anzeichen einer degenerativen Gelenkerkrankung (Arthrose). Wenn der Loslaufschmerz nach einigen Minuten aufhört, kann man ruhig weiterlaufen. Allerdings sollte man bedenken, dass am nächsten Tag die Beschwerden wieder auftreten können und dass sie von Jahr zu Jahr eventuell stärker werden. Daher sollte man sie von einem erfahrenen Arzt abklären lassen. Hinter dem Anlaufschmerz, vor allem, wenn er nach kurzer Zeit nicht aufhört, kann sich nämlich auch eine Stressfraktur verbergen. "Was uns beim Anlaufschmerz wehtut, sind meist die Sehnenbeschwerden, die oft schon nach einer kurzen Distanz weggehen. Bei einer Stressfraktur werden die Beschwerden jedoch immer schlimmer und hören nicht auf," betonte Dr. Ralph Schomaker vom Zentrum für Sportmedizin Münster (ZfS) beim zweiten Laufseminar des Münster-Marathon e.V. am 2. März im Konferenz-Raum der Westfälischen Nachrichten (WN) in Münster.
Das klinische Bild einer Stressfraktur wurde erstmals im Jahr 1855 durch den preußischen Heeresarzt Breithaupt erwähnt, der bei jungen Rekruten über schmerzhafte Vorfußschwellungen im Bereich des zweiten und dritten Mittelfußknochens berichtete. Bei der Marschfraktur traten mit zunehmender Marschdauer bei Soldaten starke Beschwerden ohne eine erkennbare Ursache auf, sodass das Abrollen des Fußes nur unter teilweise starken Schmerzen möglich war. Die Marschfraktur ist heutzutage die zweithäufigste Stressfraktur auch bei Läuferinnen und Läufern. Das häufigste Beschwerdebild im Laufsport ist jedoch das Schienbeinkantensyndrom. Der vordere Schienbeinschaft stellt nämlich die Zone der höchsten Zugbelastung der Biegeachse des Schienbeins beim Laufen dar und ist damit die von Stressfrakturen am meisten betroffene Knochenregion.
Dr. Ralph Schomaker nannte einige Fakten:
- Stressfrakturen machen mehr als 20 Prozent der ambulant behandelten Sportverletzungen in einer sportmedizinischen Praxis aus
- in 80 Prozent aller Fälle sind die unteren Extremitäten und das Becken betroffen
- Frauen sind häufiger betroffen als Männer
- 69 Prozent der betroffenen Sportler sind Läufer
- 33 bis 66 Prozent der wettbewerbsorientierten Langstrecken- und Crossläufer berichten über eine zurückliegende Stressfraktur in der eigenen Vorgeschichte
- in den ersten drei Jahren nach Beginn eines Lauftrainings ist das Risiko für eine Stressfraktur besonders groß
Wichtig zu wissen: 60 Prozent aller Läuferinnen und Läufer, die schon einmal einen Ermüdungsbruch hatten, bekommen wieder einen. Dafür ist besonders für sie größte Vorsicht angesagt.
Symptomatik bei Stressfrakturen oft schleichend
Stressfrakturen treten bei Läufern vor allem am Schienbeinschacht, beim Mittelfuß, beim Wadenbein sowie in der Hüft- und Beckenregion auf. Zudem sind Fersenläufer viel mehr als Vorfußläufer betroffen. An der Schienbeinkante entsteht bei einer Stressfraktur eine erhöhte Druckempfindlichkeit mit teilweise sichtbaren und tastbaren Schwellungen. Die Symptomatik ist meist schleichend, kann aber auch ganz plötzlich ohne erkennbare Ursache auftreten. Teilweise werden die Beschwerden so stark, dass kein Training mehr möglich ist. Zur Abklärung der Beschwerden bietet sich für die Erstversorgung ein MRT an. Größte Vorsicht ist geboten, denn die Verläufe können manchmal bis zu anderthalb Jahren dauern. Im schlimmsten Fall kann auch eine operative Versorgung erforderlich sein.
Aber es braucht nicht soweit zu kommen. So bald man eine Pause einlegt, lassen die Schmerzen meist deutlich nach. Zur Aufrechterhaltung der eigenen Fitness kann man bei Beschwerden andere Sportarten wie Schwimmen und Radfahren oder auch Aquajogging zwischenzeitlich nutzen.
Stressfrakturen treten vor allem auf, wenn das Gleichgewicht zwischen Belastungen und Belastbarkeit voneinander abweichen. Ob wechselnde Bodenbeläge (Asphalt, Wiese, Tartanbahn) dafür verantwortlich sind, ist nicht hundertprozentig geklärt. Gesichert scheint jedoch die Erkenntnis zu sein, dass neben einer deutlichen Steigerung des Laufpensums oder der Laufgeschwindigkeit auch ein falsches Schuhwerk die Ursache bildet. „Laufeinsteiger sollten ihr Pensum nicht mehr als zehn Prozent pro Woche steigern", empfiehlt Dr. Schomaker.
Bei Stressfrakturen können allerdings auch genetische Veranlagungen eine Rolle spielen. Darüber hinaus können ein fehlendes Ausgleichstraining, ein anhaltendes Kaloriendefizit sowie ein Calcium- und Vitamin-D-Mangel, der die Knochendichte negativ beeinflusst, die Ursachen für Ermüdungsbrüche bilden.
Besonders junge Sportlerinnen sind gefährdet
Besonders gefährdet sind junge Sportlerinnen, die ihrem Körper zu wenig Energie zuführen, deren Periode aufgrund des harten Trainings ausbleibt und die unter Osteoporose (verminderte Knochendichte) leiden. Läuferinnen, bei denen über eine längere Zeit die Menstruation ausbleibt, laufen Gefahr, dass sie nie die maximale Knochendichte erreichen und ihnen somit weniger Knochenmasse zur Verfügung steht, wenn bei ihnen mit 30 Jahren der altersbedingte Knochenabbau einsetzt. "Vor allem Mädchen nach dem Einsetzen der ersten Regelblutung sind stark gefährdet. Auf sie muss man besonders aufpassen", betont Dr. Schomaker.
Der Rennarzt des Münster-Marathon rät allen Läuferinnen und Läufer darauf zu achten, dass es bei ihnen ein Gleichgewicht zwischen der Nahrungsaufnahme und den jeweiligen Belastungsumfängen gibt. Wenn dieses gestört ist, kommt es sowohl bei Frauen als auch bei Männern zur Reduzierung der Sexualhormonausschüttung. Diese Reaktion ist in unserem Körper festgelegt, denn in Zeiten von Hungersnöten konnte man früher keinen Nachwuchs gebrauchen. "Daher gehen die Hormone in den Keller. Das gilt sowohl für Frauen als auch Männer," sagt Dr. Schomaker. Und er fügt hinzu: "Neben dem Calcium- und Vitamin-D-Mangel bildet der Zusammenhang von Nahrungsaufnahme und Trainingsumfängen und der daraus resultierenden Sexualhormon-Ausschüttung eine der Hauptursachen für Stressfrakturen."
Mögliche Gefahren sollten niemanden vom Laufen abhalten
Die möglichen Gefahren von Ermüdungsbrüchen sollten jedoch niemanden vom Laufen abhalten, denn, wenn man sich nicht bewegt, geht die Knochendichte "richtig in den Keller". Zusätzlich zu einem moderaten Ausdauertraining bieten sich ein leichtes Krafttraining und Stabilisitionsübungen an. Und beim Training und bei der Nahrungsaufnahme sollte man immer auf die Dosis achten. Dann steht dem Laufspaß weiterhin nichts mehr im Wege.