Wie hast du dich gefühlt, als du die Nachricht bekommen hast, dass es für dich jetzt mit dem Nationalteam über Amerika auf die Bahamas geht?
Maurice Huke: Bei den Deutschen Hallenmeisterschaften habe ich schon erfahren, dass ich für so ein Event nun in Frage kommen kann. Das hat mich total überwältigt. Erst die tollen Deutschen Meisterschaften und dann noch so etwas zu erfahren. Das habe ich erstmal noch mit etwas Bedacht wahrgenommen, aber umso näher das jetzt rückt, desto realer wurde es. Als die Nominierung dann endgültig draußen war, war ich allerdings schon in Amerika. Ja, das war natürlich genial. Ja, jetzt habe ich es geschafft, das war so mein Gefühl.
Wenn man sich deine Leistungsentwicklung anschaut, sieht man, dass du dich vor allem in der Halle über 60 und 200 Meter extrem gesteigert hast. Hat sich das für dich auch so angefühlt, dass kaum jemand so richtig mit dir gerechnet hat? Wie war das Gefühl?
Huke: Mit diesen 60 Metern hätte ich sogar selber nicht gerechnet. Obwohl der Saisonverlauf schon ein wenig darauf hingedeutet hat. Dann kam noch bei den Deutschen Meisterschaften die Situation, dass viele auf einem gleichen Niveau waren. Klar waren noch einige Leute verletzt, aber das gehört zum Sport eben dazu. Und wer zur richtigen Zeit da ist und die Leistung abrufen kann, hat man das große Los gezogen. In meinen Jahren zuvor, war immer mal wieder was, egal wie gut das Training lief. Es war dann doch eben immer noch was da, was nicht geklappt hat. Jetzt konnte ich endlich mal alles abrufen. Das Training war eigentlich nicht so viel besser als im letzten Jahr, aber ich bin schon viele schnelle Einheiten gerannt. Im näheren Umfeld haben schon viele damit gerechnet, dass diesmal mehr drin ist. Ich hoffe, dass ich es im Sommer weiter so abrufen kann und dass die Leute, die jetzt nicht mit mir gerechnet haben, jetzt mit mir rechnen können.
Du hast mir meine nächste Frage damit fast schon vorweggenommen. Welche Rolle spielte es, dass du dieses Jahr verletzungsfrei geblieben bist?
Huke: Ich denke, dass das der größte Aspekt ist. Aber auch, dass ich jetzt mehr und mehr mit meinem Trainer in Absprache bin und dadurch genau das mache, was ich auch brauche. Vielleicht mal einen Lauf weniger oder etwas schneller, um den Körper nochmal etwas fitter zu halten und spritziger zu werden. Das tut mir gut und damit haben wir jetzt sehr gute Erfahrungen gemacht.
Schauen wir nochmal zurück. Du hattest ja schon so einige Verletzungen.
Huke: Angefangen hat es 2012 mit einem Muskelbündelriss. Da bin ich eigentlich noch ganz gut in die Saison gestartet, bin U20-EM-Norm gelaufen und habe mich dann im Ziel verletzt. Ich war mehrere Monate außer Gefecht und hatte dann nochmal die Möglichkeit, einen Leistungsnachweis zu erbringen. Aber es ging gar nichts. Das Bein war eigentlich nicht mehr zu gebrauchen. Im folgendem Jahr hatte ich immer noch Probleme damit gehabt. Ich hatte ständig Krämpfe im Beuger und die Muskulatur war noch nicht so richtig bereit, schnell zu rennen. Ich musste dann wieder nach einer Hallensaison die Sommersaison beenden. Dann ging es los mit der Leiste, einer Schambeinentzündung. Ein halbes Jahr bin ich von Arzt zu Arzt gerannt, bis ich dann endlich die Entscheidung getroffen habe, mich operieren zu lassen. Zwei Wochen nach der OP konnte ich anfangen, wieder zu trainieren. Hätte ich die Entscheidung im Nachhinein früher getroffen, hätte es mir vielleicht eine oder zwei Saisons gerettet. Es hat zum Glück funktioniert, auch wenn ich die Hoffnung da eigentlich schon aufgegeben habe. Seitdem ging es mir eigentlich gut.
Wenn man sich deine Vergangenheit anschaut kommt hinzu, dass du seit 2013 nicht mehr im Bundeskader bist, obwohl du eigentlich weiterhin erfolgreich warst. Wie bewertest du das? Ist es wichtig für dich, im Kader zu sein und was hat dich motiviert, trotz der Rückschläge weiterzumachen?
Huke: Der Kaderstatus hat einige Vorzüge. Man wird bei Maßnahmen berücksichtigt und es ist schon ein cooles Gefühl, wenn man in der Nationalmannschaft ist. Aber darum geht es nicht in erster Linie. Im Endeffekt muss man seine Leistung bringen, ob man im Kader ist oder nicht. Wenn man schnell genug läuft, darf man trotzdem international starten. Ich würde mich natürlich freuen, wenn ich es schaffe, in den Kader zu kommen. Aber auch wenn ich es schaffe, verändert sich für mich nicht viel. Ich mache trotzdem weiter wie bisher.
Du scheinst trotz des fehlenden Kaderstatus total motiviert zu sein. Was ist es, was dich motiviert?
Huke: Klar, es war schon eine Enttäuschung, dort rauszufliegen. Aber wenn man seine Leistung nicht mehr bringt, kann man auch nicht hinterhergeschleift werden. Motiviert hat mich zum einen, dass ich schon mein Leben lang in der Leichtathletik gewesen bin. Ich konnte mir nicht so richtig vorstellen, dass es das schon gewesen sein soll. Ich möchte noch was erreichen und habe mir das schon meine Ziele gesteckt. Während der Verletzung habe ich zwar schon gemerkt, dass ich auch ohne den Sport leben könnte, aber da war noch irgendetwas in mir drin, dass mir gesagt hat, dass es das noch nicht war. Mein Vater hat schon viel erreicht und man möchte sich da auch ein bisschen messen. Man weiß einfach, dass es in einem steckt.
Es ist interessant, dass du deinen Vater schon angesprochen hast. Michael war ebenfalls ein ganz erfolgreicher Sprinter. Inwieweit spornt einen das an und was für einen Einfluss hat das auf dich?
Huke: Was mich viele fragen ist, ob ich Leichtathletik mache, weil mich mein Vater dazu gebracht hat. Das ist nicht der Fall. Ich war mein Leben lang dabei. Ich war schon als kleiner Stöpsel im Trainingslager auf Lanzarote. Ich war irgendwie immer da und Leichtathletik war schon immer ein Teil meines Lebens. Ich habe es als ich klein war auch mal mit Fußball versucht, aber das hat mich nicht so erfüllt. Das war keine Entscheidung sondern eine unbewusste. Klar schaut man immer mal, was er früher so gelaufen ist. In der Halle ist er glaube ich noch nicht unter 21 Sekunden gelaufen. Da neckt man sich schon mal ein bisschen und das ist auch cool. Aber da ist kein Druck und vor allem positive Energie zwischen uns beiden.
Du hast eben gesagt, dass dir die Kaderzugehörigkeit nicht allzu wichtig ist. In der Regel sind Kaderathleten über den reinen Kaderstatus und die Teilnahmen an Maßnahmen hinaus doch schon besser gefördert. Wie sieht denn dein Alltag als Athlet ohne Kaderstatus aus? Kannst du genauso professionell trainieren?
Huke: Der Kaderstatus alleine reicht ganz sicher nicht aus, um von der Leichtathletik leben zu können. Er öffnet aber Türen zu Sportfördergruppen, sei es bei der Bundespolizei oder Bundeswehr. Es ist glaube ich eine Sache, die einem das Leben stark erleichtert. So muss ich eben noch arbeiten. Ich habe zur Zeit eine 60 Prozent-Stelle und kann das ein bisschen flexibel gestalten. Ich gehe drei Mal in der Woche voll arbeiten und kann mir dann relativ flexibel aussuchen, wann ich komme. Wenn man jetzt davon ausgeht, dass ich in einer Sportfördergruppe wäre, wäre das schon eine gute Sache, um sich wirklich zu 100 Prozent auf den Sport zu konzentrieren. Wenn man abends beispielsweise bis 17 Uhr gearbeitet hat und dann noch eine Dreiviertelstunde zum Training fahren muss, dann schlaucht das schon. Und wenn das dann drei Tage hintereinander so ist, dass man abends um 21 Uhr vom Training nach Hause kommt und dann noch was kochen muss, dann haut das schon rein. An den Tagen bleibt nicht viel, um seinem Körper mal etwas Gutes zu tun. Physiotherapie kommt da zu kurz. Das muss ich dann auf meine freien Tage verlegen. Da habe ich dann aber meistens Doppeleinheiten. Das ist schon nicht so einfach, aber es geht schon. Dreimal pro Woche kann man dann schon irgendwie mit dem Sport vereinbaren.
Welchen Stellenwert hat deine Arbeit für dich? Wenn du jetzt einmal abwägst: Wie sehr gehst du in deiner Arbeit auf ,und könntest du dir vorstellen, dich eine Zeit lang nur auf den Sport zu konzentrieren? Oder sagst du, es ist wichtig, noch etwas neben dem Sport zu machen?
Huke: Ich habe jetzt schon eine kaufmännische Ausbildung abgeschlossen. Ich denke, es ist ganz wichtig, zweigleisig zu fahren, weil man vom Sport alleine nicht so gut leben kann. Klar, wenn man gut drauf ist, in der deutschen Spitze oder im Kader ist, dann funktioniert das alles. Wenn man dann aber eine krasse Verletzung hat und später mit dem Sport aufhört, kann man sich nicht wie ein Fußballer genug zusammensparen und weiterleben von diesem Geld. Man muss schon sehen, wo man bleibt und deswegen mache ich das momentan jetzt so. Wenn ich jetzt die Möglichkeit hätte, mich für eine absehbare Zeit, sprich zwei bis drei Jahre, nur auf den Sport zu konzentrieren, dann würde ich das machen. Einfach, weil ich jetzt noch die Möglichkeit habe, diesen Sport zu machen. Und warum soll ich dann nicht die vollen 100 Prozent geben? Solange es noch geht, steht der Sport für mich ganz oben. Ich glaube, anders geht es auch nicht. Man muss für diesen Sport einfach brennen, ansonsten braucht man es gar nicht zu machen.
Gibt es denn andere Unterstützer für dich, beispielsweise dein Verein, die dir den Sport erleichtern?
Huke: Ich habe im Moment die Möglichkeit, eine Teilzeitstelle wahrnehmen zu dürfen. Vom Verein werde ich finanziell unterstützt und auch was Physiotherapie und die Trainingsstätte angeht. Das ist natürlich auch sehr wichtig. Sonst sind es die Familie, Freunde, Freundin, die mich da seelisch unterstützen und fast bei jedem wichtigen Wettkampf dabei sind, egal wie weit er weg ist. Und mich eben auch wieder hochpäppeln, wenn es gerade mal nicht so gut läuft.
Was sind deine Ziele für die Sommersaison und auch darüber hinaus? Wie sehen die nächsten Jahre aus, wenn alles optimal läuft?
Huke: Natürlich versuche ich, mich auf den Bahamas gut zu präsentieren und mit den Jungs ein cooles Rennen zu liefern. Ich versuche, jetzt an die Halle anzuknüpfen. Jetzt habe ich die zwei Einzelmedaillen geholt. Klar, im Sommer ist es vielleicht nochmal etwas anderes, aber warum sollte man nicht mal versuchen, da eine Einzelmedaille zu holen. Das würde ich mir schon wünschen. Und dann ist das nächste große Ziel die Europameisterschaft in Berlin. Diese Unterstützung die die deutschen Athleten bei der Weltmeisterschaft in Berlin bekommen haben, war so grandios, dass ich heute noch Gänsehaut kriege. Das würde ich einfach gerne mal selber erleben.
Man kann schon sagen, dass die Wattenscheider Sprinter zu den besten in Deutschland zählen. Auch wenn nicht alle vor Ort trainieren, bist du in einer super starken Trainingsgruppe. Wie wichtig sind dir deine Trainingspartner?
Huke: Um diese Topleistungen im Training abrufen zu können, braucht man Leute, die einen dazu bringen. Das kann man nicht, wenn man jeden Tag alleine trainiert. Wir haben schon bei vielen Einheiten so eine Art Wettkampf zwischen uns, zum Beispiel, wenn wir aus dem Block starten oder Tempoläufe machen. Ich denke, dass das enorm hilft, um mehr an seine Grenzen zu gehen und nicht alleine leiden zu müssen. Das sind alles Top-Jungs – leider sind es jetzt gerade nur noch Jungs – und im Training herrscht ein tolles Klima. Wir geben jeden Tag Gas und das ist echt cool. Wenn man das alles alleine machen müsste, würde ich schon sagen, dass man die ein oder andere Zehntelsekunde langsamer wäre.
Gibt es ein Vorbild für dich?
Huke: Ich fand immer schon Maurice Greene cool, weil er einfach einen enorm tollen Laufstil hat. Das ist eine richtige Mischung aus Eleganz und kraftvollem Rennen. Er ist jetzt eher ein 60 Meter-Spezialist, deswegen konnte ich mich nicht so ganz mit ihm identifizieren, aber nach meiner Hallensaison… (lacht). Da habe ich dann auch gesehen, dass ich die 60 Meter auch kann und das ist umso cooler.
Wie lief es denn für dich im Trainingslager in Amerika, und was ist deine Zielsetzung für die Staffel-WM?
Huke: Das Training lief richtig gut. Es war etwas anstrengend, weil ich von Südafrika nach Deutschland geflogen bin und dann nach Orlando. Das schlaucht ein bisschen und in Südafrika habe ich gemerkt, dass mich das Training ein bisschen runtergezogen hat, weil wir nach der Hallensaison dort nochmal richtig reingegangen sind. Hier in Amerika bin ich von der Fitness her wieder auf einen grünen Zweig gekommen, nachdem sich der Jetlag relativ schnell gelegt hat. Wir haben hier gute Bedingungen und auch schönen Rückenwind. Man kann ganz gute Zeiten hier abfackeln. Ich bin guter Dinge, was die Bahamas angeht und ich denke, ich kann da anknüpfen, wo ich in der Hallensaison aufgehört habe.