"Die Legende lebt": 50 Jahre Frauenfußball in Wickede

Gerlinde Gründel lehnt auf ihrer Fensterbank. Von hier aus hat sie alles im Blick. Den Rasenplatz. Den Kunstrasen. Die Tore. Die Spiele. Das Vereinsleben. Ihre Wohnung liegt genau über dem Vereinsheim des TuS Wickede (Ruhr) aus dem Kreis Lippstadt/Soest im Fußball- und Leichtathletik-Verband Westfalen (FLVW). Die Frauenabteilung des Vereins feiert heute ihren 50. Geburtstag. Damit zählt die Wickeder Frauenmannschaft zu den ältesten in ganz Deutschland. Im Gründungsjahr 1969 war Frauenfußball sogar noch offiziell vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) verboten. Die 66-jährige Gründel erinnert sich noch gut an die ersten Tage der Gründung. Denn damals stand die fußballbegeisterte Rentnerin noch selbst auf dem Platz. Mehr als 500 Spiele absolvierte sie für ihren Verein. Und bis heute ist ihre Liebe zum Sport nicht kleiner geworden.

Bei der Gründung der ersten Frauenmannschaft des TuS war Gründel gerade 15 Jahre alt. Fußball spielten zu dieser Zeit nur wenige Frauen in Deutschland. „Mich hat es bei der Gründung fasziniert, dass es sowas ja eigentlich gar nicht gab. Einige von uns hatten schon bei den Jungs gespielt. Eine eigene Mannschaft war aber etwas Außergewöhnliches“, erinnert sich die Vereinslegende.

Mit Beginn der Saison 1970/1971 und nach Aufhebung des Spielverbots durch den DFB nahmen die Damen erstmals an einer Meisterschaft teil. Unter der Regie von Rudolf Breyholz ging die Mannschaft in der Kreisliga im Siegener Raum an den Start. Die Trikots kauften die Spielerinnen selbst. Finanzielle Unterstützung oder gar einen Sponsor gab es nicht, dafür reichlich Vorurteile, wann immer das Team auftrat.

Der Kampf neben dem Platz

Vor allem die Arroganz der Männer sei damals ein großes Problem gewesen, erinnert sich auch Volkmar Hinderlich. Hinderlich war jahrelang mit den Frauen als Betreuer unterwegs und einer der wenigen Männer, die den Frauenfußball zu dieser Zeit schon unterstützen. „Ich hab‘ den anderen Männern immer gesagt, guckt doch mal auf eure Pöhlerei, was ihr da manchmal rumgurkt. Da könnt Ihr euch an den Frauen eher ein Beispiel nehmen“, sagt der 73-Jährige. Auch heute steht er noch am Spielfeldrand und feuert seine Frauen an. Von den Vereinsmitgliedern wird er deshalb liebevoll „der Edelfan“ genannt.

Bis in die Mitte 70er-Jahre dauerte es, bis sich auch die jüngere Generation mehr für den Sport interessierte. „Die Anfänge waren schon sehr schwierig“, erinnert sich Gründel. Doch die treue Vereinsseele und ihre Mitspielerinnen trotzen den spöttischen Blicken der Männer. 1982 legten sie dann den Grundstein, der das Fortbestehen des Wickeder Frauenfußballs bis heute sichern sollte. „Durch das Engagement von Gerlinde haben wir damals die erste Mädchen-Mannschaft gegründet“, sagt Martina Gerlach. Sie stieß 1978 zur Mannschaft und stand lange Zeit gemeinsam mit Gründel auf dem Platz.

Die Arbeit mit der Jugend

„Jugendarbeit war sehr wichtig. Und vor allem die Hilfe ehemaliger Spielerinnen in diesem Bereich. Anja Peters, Andrea Rüther, Susanna Benning. Dass diese Leute geblieben sind, um den Mädchen-Fußball hoch zu halten - das war sehr wichtig“, sagt Gründel. Und diese Tradition setzt sich bis heute fort. Die 18-jährige Maja Preker ist seit zwei Jahren Teil der Wickeder Frauenmannschaft. Gleichzeitig ist sie aber auch Trainerin der D-Juniorinnen. „Ich bin stolz, aktiver Teil dieses tollen Vereins zu sein“, sagt die Mittelfeldspielern, die vor drei Jahren ihren Trainerschein in Kaiserau abgelegt hat.

Die frühe Nachwuchsarbeit sorgte dann auch für sportliche Erfolge. In der 80er-Jahren stiegen die Frauen zweimal in die Landesliga auf. Zwei Ereignisse aus dieser Zeit sind den Zeitzeugen dabei besonders in Erinnerung geblieben. „Wir haben mal gegen den damaligen Deutschen Meister TSV Siegen in der Halle gespielt und gewonnen“, freut sich Gründel noch heute. Denn der TSV hatte bedeutende Spielerinnen wie die ehemalige Bundestrainerin Silvia Neid in ihren Reihen. Und auch eine Begegnung gegen eine Auswahl der niederländischen Nationalmannschaft ist immer noch eine beliebte Anekdote. „Wir hatten am Tag zuvor eine Feier und die ein oder andere Spielerin auch noch ein bisschen Substanz“, erinnert sich Volkmar Hinderlich und lacht. Am Ende stand es 1:0 für den TuS.

Eine echte Talentschmiede

In der Saison 2007/2008 hatte der Verein dann seinen größten Erfolg. Mit einem 2:0-Sieg im Relegationsspiel gegen den SC Borchen machten die Frauen den Aufstieg in die Westfalenliga perfekt. Sportlich sieht es heute anders aus. Aktuell treten die Frauen in der Kreisliga an. Dafür haben viele erfolgreiche Spielerinnen ihre ersten Schritte auf dem Rasen des TuS gemacht. Von Wickede sind junge Talente schon zum SV Berghofen, nach Köln, Iserlohn oder sogar noch München gewechselt. Gründel: „Und das ist doch das Schöne. Wir sind ein kleiner Dorfverein. So ein Level können wir natürlich gar nicht stemmen. Aber daran sieht man doch, dass hier vieles richtig gemacht wird.“

Heute steht nun also die große Geburtstagsfeier unter dem Motto "Die Legende lebt" auf dem Programm. Mehr als 80 ehemalige Spielerinnen haben sich neben vielen Freunden und Begleitern des Vereins angemeldet. Und die Frauen des Vereins wissen auch, was sie sich für die nächsten Jahre wünschen. „Dass sich der Frauenfußball noch mehr durchsetzt und vor allem auch, dass er in der öffentlichen Breite noch mehr Anerkennung bekommt“, sagt Martina Gerlach. Genau so, wie man es in Wickede seit 50 Jahren vorlebt.