Füße sind wahre Wunderwerke der Evolution. Sie bewegen sich auf 26 kleinen, mehr oder weniger stark beweglichen Knochen. Darüber hinaus gibt es nahezu 30 Gelenke, 60 Muskeln, 100 Bänder und 200 Sehnen im Fuß. Dieses bei jedem Schritt perfekt ausgetüfteltes System muss einwandfrei funktionieren, sonst sind Fuß- und Fersenschmerzen vorprogrammiert.
Bei einem Laufseminar des Münster-Marathon e.V. am 2. März 2020 in Münster sprach daher Dr. Gerrit Borgmann vom Zentrum für Sportmedizin (ZfS) in Münster über die Archillodynie, die ein Schmerzsyndrom der Achillessehne und des Wadenmuskelansatzes am Fersenbein ist.
Die Achillodynie zählt neben dem Läuferknie, der Stressfraktur, der Plantarfasziitis und dem Schienbeinkantensyndrom zu den „Big 5“ der Läuferverletzungen. Zu den häufigsten Ursachen der Achillodynie gehört eine zu schnelle Steigerung der Laufbelastung im Hinblick auf Umfang und Intensität, eine ungenügende Regeneration nach Erkrankungen und Verletzungen, ein ungeeignetes Schuhwerk, der Laufstil und Fußdeformationen wie Knick-, Platt-, Senk- und Spreizfüße.
Viele Menschen schenken ihren Füßen zu wenig Beachtung.
„Die schnelle Steigerung der Laufbelastung tritt oft bei Laufeinsteigern zu. Da macht die Achillessehne nicht mit, denn sie besteht anders als die Muskulatur aus einem schlecht durchbluteten Gewebe", erläuterte Dr. Borgmann. Problematisch wird es seiner Meinung vor allem, wenn die Laufnovizen zu früh ein Intervalltraining absolvieren und immer auf die Stoppuhr schauen. Auch Bergauf- und Bergabläufe sind für Anfänger nicht empfehlenswert. Das Gleiche gilt für Läuferinnen und Läufer, die nach einer längeren Zwangspause das Training wieder aufnehmen und vieles dabei überstürzen.
Darüber hinaus können auch der Laufstil, ein ungeeignetes Schuhwerk, muskuläre Dysbalancen, eine fehlende Rumpfstabilisierung sowie Blockierungen im Lendenwirbelsäulen- und Illiosakral-Bereich Ursachen für Achillessehnenbeschwerden bilden. Auch Stoffwechselstörungen wie Diabetes oder Übergewicht (BMI > 25) sind ein höheres Risiko für eine Achillodynie.
Eine Verletzung der Achillessehne durch Überbelastung (Tendopathie) tritt bei Männern deutlich häufiger auf als bei Frauen auf. Bei beiden Geschlechtern steigt das Risiko mit dem Alter und der Zahl der zurückgelegten Trainingskilometer. „Wenn man sich die Ursachen anschaut, dann kommt man zu dem Schluss, dass 75 Prozent der Achillessehnenprobleme vermeidbar sind. Da ist die Achtsamkeit eines Jeden gefordert", betonte Dr. Gerrit Borgmann.
Die Achillessehne ist die kräftigste Sehne im menschlichen Körper. Die Sehne eines erwachsenen Menschen hat eine Zugkraft von knapp einer Tonne, sodass man an ihr einen Kleinwagen aufhängen könnte. Die Achillessehne überträgt die Kraft der Wadenmuskulatur auf den Fuß und fängt mit jedem Schritt ein Mehrfaches des Körpergewichts auf. Die lebenden Zellen der Achillessehne, die Tendozyten, produzieren die stabilen Kollagenbündel, aus denen sich die Achillessehne zusammensetzt. Ist der Stoffwechsel der Tendozyten (Sehnenzellen) in der Achillessehne gestört, werden diese Kollagene nicht mehr in ausreichendem Maße gebildet.
Die Region zwei bis sieben Zentimeter oberhalb des Sehnenansatz am Fersenbein verfügt über die wenigsten Blutgefäßen. Daher ist dieser Bereich, in dem die Ernährung des Sehnengewebes und damit die Regenerationsfähigkeit am schlechtesten ist, auch am anfälligsten für Entzündungen und der Degeneration der Achillessehne. Dort stellt man auch die meisten Risse bzw. Teilrisse fest.
Auch eine nicht-schmerzende Achillessehne kan zum Problemfall werden
Das Problem ist, dass die Achillessehne schon krank ist, bevor sie überhaupt schmerzt. Anfangs hat man oft nur einen Einlaufschmerz, dem Läuferinnen und Läufer keine allzu große Beachtung schenken, weil er schon nach kurzer Zeit wieder verschwunden ist. Dies ist äußerst tückisch, denn je länger man mit dem Arztbesuch wartet, desto schwieriger ist die Sehne später therapierbar. Am besten lässt sich die Achillodynie durch eine Ultraschalluntersuchung, die eine kostengünstige und zuverlässige Beurteilung von Verdickungen und strukturellen Unregelmäßigkeiten zulässt, diagnostizieren. Läuferinnen und Läufer haben ein 15 Mal höheres Risiko, einen Riss oder Teilriss der Achillessehne zu erleiden als die Normalbevölkerung.
„Man kann eine Achillodynie leider nicht gesundschonen", so Dr. Borgmann, „Sie ist nicht mit einem Knochenbruch vergleichbar, bei dem man bis zur Heilung eine entsprechend lange Pause benötigt. Alle Läuferinnen und Läufer, die sich bei einer Achillodynie schonen, berichten, dass sie zunächst schmerzfrei waren, dann aber nach vier, fünf Wochen wieder dieselben Beschwerden hatten. Entscheidend ist daher, dass man das Krankheitsbild beseitigt, indem man versucht, die Ursachen auszuschalten", erklärte der Medinziner.
Bei einer Theraphie ist für den Arzt des ZfS Münster wichtig, die richtige Behandlungsmethode für seinen Patienten herauszufinden. Das ist aber sehr zeitaufwendig. Daher arbeitet er eng mit seinen Physiotherapeuten zusammen, die wesentlich schneller herausfinden können, welche Bewegungseinschränkungen bei einem Patienten vorliegen. Die Physios können das Laufband einsetzen und schauen, ob irgendwelche Laufauffälligkeiten oder Verkürzungen bei einer Läuferin bzw. einem Läufer vorhanden sind. Nach der entsprechenden Rückmeldung des Physiotherapeuten erhält dann der behandelnde Arzt ein gutes Bild davon, wo die Ursache bei seinem Patienten liegt. Nur so kann er mit der optimalen Therapie beginnen.
Zu den erfolgreichen Behandlungsverfahren zählt laut Dr. Borgmann das exzentrische Training. Folgende Übung zählt dazu: Man stellt sich mit einem Vorfuß auf eine Treppenstufe und hält sich am Geländer fest. Man hebt dann langsam die Fersen an und hält diese Endposition circa drei Sekunden lang. Anschließend senkt man die Ferse wieder ab, bis sie sich unterhalb der Horizontalen befindet. Die Dehnung, die man in der Wadenmuskulatur spürt, sollte man möglichst 15 bis 20 Sekunden halten. Es empfiehlt sich, mindestens drei Wiederholungen mit jeweils zweiminütigen Pausenlängen durchzuführen, sodass man an seine muskulären Grenzen herankommt. „Wenn jemand mithilfe des exzentrischen Training beschwerdefrei wird, denn sieht man ihn wegen seines Beschwerdebildes in der Arztpraxis meist nicht wieder", berichtete Dr. Borgmann.
Gute Erahrungen mit Stoßwellentherapie
Gute Erfahrungen hat der Orthopäde auch mit der fokussierten Stoßwellentherapie gemacht. Das physikalische Verfahren, das seinen Ursprung in der Behandlung von Nieren- und Gallensteinleiden hat, dient heutzutage zudem bei der Behandlung von orthopädischen Erkrankungen wie der Achillodynie oder dem Fersensporn. Eine Alternative zu den herkömmlichen Therapien ist neuerdings auch die ACP-Behandlungsmethode. Mit Hilfe von körpereigenem, konditioniertem Blutplasma (ACP) kann die Regeneration des Gewebes beschleunigt und dadurch eine Heilung unterstützt werden. Die PRP-Therapie, eine weitere Behandlunsmethode, nutzt die natürlichen in unserem Blut enthaltenen Wachstumsfaktoren, um Heilungs- und Regenerationsvorgänge anzuregen. Diese Methode hat einen großen Vorteil gegenüber dem Kortison, das mit vielen Nebenwirkungen verbunden ist. „Bei beiden Therapien ist die Studienlage jedoch noch dünn“, gibt Dr. Borgmann zu bedenken. Konservative Behandlungsmethoden wie die Kältetherapie, das Taping und ein umfassendes Kräftigungsprogramm rund um die Sehne (u.a. mit einem Theraband) sind weiterhin aktuell.
In der vergangenen Zeit hat das Thema „Ernährung und Sehne“ an Bedeutung gewonnen. Dr. Geritt Borchert rät, sich gesund zu ernähren, um keine Mangelsituationen aufkommen zu lassen. Dann braucht man auch nicht zu Substitutionsmitteln zu greifen, denn es gibt keine bestimmte Substanz, mit der man die Gesundheit der Sehne erhalten kann.
Die optimale Prävention und Therapie muss ohnehin für jede Läuferin und jeden Läufer individuell abgestimmt werden. Dr. Borgmann bekommt von Patienten immer wieder die Frage gestellt, ob man bei Achillessehnenbeschwerden weiterlaufen darf oder wann man wieder mit dem Lauftraining beginnen kann. Seine Antwort lautet dann: „Wenn man durch das Training keine Schmerzverstärkung hat und am nächsten Tag auch nichts weh tut, dann steht dem Laufspaß nichts im Wege.“
Wichtig sei nur, dass man die gutgemeinten Ratschläge befolgt, sonst wird die Achillessehne zur Achillesferse, die, wie in der griechischen Mythologie beschrieben, den Helden Achilleus verwundbar machte.